Wirtschaftsstrafrecht
Das Wirtschaftsstrafrecht als strafrechtliches Pendant zum Wirtschaftsrecht
Das Wirtschaftsstrafrecht regelt die strafrechtliche Verantwortung von Unternehmen bzw. deren Lenkern. Es ist so breit gefächert wie das Wirtschaftsrecht und überschneidet sich in seinen Randbereichen mit dem Steuerstrafrecht und dem Arbeitsstrafrecht. Unter das Wirtschaftsstrafrecht fallen Vermögensdelikte, wie Untreue und Betrug, Korruptionsdelikte, Insolvenzstraftaten, Hinterziehung von Sozialabgaben und Steuern und vieles mehr. Diesen Straftaten ist oft gemein, dass sie auf zivilrechtlichen Verfehlungen beruhen. Die Verteidigung erfordert daher vertiefte zivilrechtliche Kenntnisse im Wirtschaftsrecht.
Der strafrechtliche Bereich wird von uns vor allem dort bearbeitet, wo sich aus dem Einsatz von Fremdpersonal oder Selbstständigen (sog. Freelancer) besondere strafrechtliche Probleme ergeben. In diesem Zusammenhang wird durch Zoll und Staatsanwaltschaften vielfach eine angeblich unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung bzw. ein unzulässiger Einsatz von Selbstständigen (Freelancern) angenommen.
Der Einsatz von Fremdpersonal als Einfallstor für Zoll und Staatsanwaltschaften
Beim Einsatz von Fremdpersonal ist der Vorwurf der unerlaubten bzw. illegalen Arbeitnehmerüberlassung der Hebel, mit dem Zoll und Staatsanwaltschaften Unternehmen bedrängen. Hierbei gehen sie folgendermaßen vor:
Wenn ein Unternehmen im Rahmen des Outsourcing Aufgaben auf ein Subunternehmen überträgt, geschieht dies meist mit einem Werkvertrag oder Dienstvertrag. Der Zoll bezweifelt dies und behauptet eine Arbeitnehmerüberlassung. Fehlt dem Subunternehmen die Erlaubnis hierzu, gehen die Arbeitsverhältnisse mit seinen Arbeitnehmern auf den Auftraggeber über. Handelt es sich um Ausländer, die eine Arbeitserlaubnis benötigen, wird dem Auftraggeber, der angeblich Arbeitgeber geworden ist, zugleich illegale Ausländerbeschäftigung vorgeworfen. Für die Zeit, als die osteuropäischen EU-Bürger noch keine Arbeitnehmerfreizügigkeit besaßen, war dies regelmäßig aus Sicht des Zolls erfüllt. Parallel dazu hatte der deutsche angebliche Arbeitgeber keine Sozialabgaben bezahlt. Es wurde somit Hinterziehung von Sozialabgaben, teilweise im siebenstelligen Bereich, vorgeworfen.
Dazu kamen noch Ordnungswidrigkeiten. So liegt bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung regelmäßig ein Equal-Pay-Verstoß vor, der zu erhöhten Sozialabgaben führt und ein Bußgeld nach sich zieht. Die AÜG-Reform 2017 hat hier weitere Tatbestände eingeführt. Da die Bußgelder dem Zoll zugeschlagen werden, hat dieser zugleich ein gesteigertes Interesse, solche „Taten“ aufzudecken.
Selbstständige als strafrechtliches Risiko
Auch der Einsatz von Selbstständigen birgt strafrechtliche Risiken. Beim Einsatz von Selbstständigen wird ein Einzelunternehmer mittels eine Werk- oder Dienstvertrages beauftragt. Nimmt der Zoll an dieser Stelle an, dass es sich nicht um einen Selbstständigen handelt sondern um einen Arbeitnehmer, so folgt daraus, dass für diesen Selbstständigen keine Sozialabgaben entrichtet wurden. Zudem durfte der Selbstständige keine Rechnung mit Umsatzsteuer ausstellen. Dementsprechend durfte die Umsatzsteuer auch nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden. Delikte wegen der Hinterziehung von Sozialabgaben und Steuern sind damit die Folge. Zudem droht auch hier eine illegale Ausländerbeschäftigung.
Umfassende Verteidigung geboten
In vielen Fällen, die wir betreuen, ist festzustellen, dass die Behauptung von illegaler Arbeitnehmerüberlassung unzutreffend ist. Auch die sich daraus ergebende Rechtsfolge, dass es über §§ 9 u. 10 AÜG zu Arbeitsverhältnissen zwischen den deutschen Auftraggebern der ausländischen Werkvertragsunternehmen und deren Arbeitnehmern kommt, ist zurückzuweisen. Dies gilt auch für den Vorwurf einer Hinterziehung von Sozialabgaben, weil diese angeblich nicht gezahlt wurden. Das Gleiche gilt für den angeblich unerlaubten Einsatz von Selbstständigen.
Es ist aus anwaltlicher Sicht erschreckend, in welcher Weise hier mit riesigem Aufwand seitens des Zolls und der Staatsanwaltschaften Beschuldigungen gegen rechtlich einwandfrei handelnde Unternehmer ausgesprochen und verfolgt werden. Dies geschieht in einem Gebiet, in dem die Abgrenzung zwischen beiden Rechtsinstituten, nämlich der werkvertraglichen Tätigkeit und der Arbeitnehmerüberlassung, äußerst schwierig und problematisch ist.
Aus diesem Grund ist eine umfassende Verteidigung geboten. Die Vorwürfe von Zoll und Staatsanwaltschaften müssen auf tatsächlicher und rechtlicher Ebene entkräftet werden. In den meisten Fällen machen sich die Beamten nicht die Mühe, sich die Abläufe im Unternehmen anzusehen. Sie stützen ihre Anklage vielmehr auf einige Zeugenaussagen, deren Wahrheitsgehalt oft fraglich erscheint. Festzustellen sind immer wieder rechtliche Defizite in der rechtlichen Würdigung. Dies ist zwar nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass tiefgreifende zivilrechtliche Überlegungen nicht das tägliche Brot von Zoll und Staatsanwaltschaften sind. Umso mehr muss dies dann durch die Verteidigung erfolgen. Da wir zu dieser Thematik intensiv die Rechtsprechung verfolgen, gelingt es uns, die Interessen der Betroffenen effektiv zu verteidigen.
Zu der angesprochenen Thematik liegen die nachfolgenden Veröffentlichungen von uns vor (auszugsweise). Zudem hat Herr Rechtsanwalt Andorfer in der 3. Auflage von Ignor/Mosbacher “Handbuch Arbeitsstrafrecht” als Autor das Kapitel 7 “Illegale Arbeitnehmerentsendung” bearbeitet. Dieses Kapitel befasst sich thematisch mit den geltenden Branchenmindestlöhnen in Deutschland.
Die Strafbarkeit von Altfällen illegaler Beschäftigung von Rumänen und Bulgaren im Licht des Europarechts, wistra, Heft 11/2014:
Seit dem 1.1.2014 dürfen Rumänen und Bulgaren im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit unbeschränkt in Deutschland einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Dennoch verfolgen manche Staatsanwaltschaften Altfälle genehmigungsloser Beschäftigung von Rumänen und Bulgaren vor dem 1.1.2014 mit dem Hinweis, dass bei angeblichen Zeitgesetzen wie § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG i.V.m. § 284 Abs. 1 III a.F. sich die Strafbarkeit nicht nach dem milderen Gesetz richte. Bei Regelungsmaterien mit europarechtlichem Bezug greift allerdings der Milderungsgrundsatz aus Art. 49 Abs. 1 S. 3 EU-GR-Charta ein, der nicht unverhältnismäßig beschränkt werden darf und daher in den angesprochenen Fällen eine Strafbarkeit nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG iVm § 284 Abs. 1 III a.F. verhindert.
Abgrenzung von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung durch den Zoll, Steuerberater, Heft 7/2014:
Erhebt der Zoll gegen einen Betriebsinhaber den Vorwurf, anstatt Werkverträge durchzuführen an illegaler Arbeitnehmerüberlassung mitzuwirken, hat das oft gravierende Folgen für die Betroffenen. Betrieb und Privaträume werden durchsucht, Steuerberaterunterlagen beschlagnahmt und nicht selten steht der Vorwurf, Sozialbeiträge hinterzogen zu haben, im Raum. Bei der Abgrenzung von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung, werden vom Zoll aber nicht selten Kriterien herangezogen, die vor höchstrichterlichen Gerichten keinen Bestand haben, weshalb betroffenen Unternehmern anzuraten ist, fachkundigen Rat in Anspruch zu nehmen.
“Allein auf weiter Flur”, Das OLG Bamberg im Beschluss vom 22.10.2009, Blickpunkt Dienstleistung, Heft 8/2014:
Seit den Entscheidungen des EuGH zum Fall “Herbosch Kiere” und des BGH zu § 266a StGB besteht grundsätzliche Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur, dass eine Entsendebescheinigung A1 (früher E 101) nicht nur das sozialversicherungsrechtliche Verhältnis, sondern auch das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung für die Behörden des Einsatzstaates bindend feststellt. Allein das OLG Bamberg im Beschluss vom 22.10.2009 vertritt die Auffassung, dass durch die Entsendebescheinigung lediglich ein sozialrechtliches Verhältnis bestätigt wird. Der Artikel “Allein auf weiter Flur” kritisiert diese Ausreißerentscheidung des OLG Bamberg, die in der Praxis zu der absurden Konsequenz führen könnte, dass arbeitsrechtlich ein Verhältnis zwischen einem entsandten Werkvertragsarbeitnehmer und einem Stammbetrieb über §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fingiert werden könnte, während das Sozialrecht nicht dem deutschen Recht unterfallen würde.
Anspruch der Sozialversicherungsträger in Deutschland bei der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses, Betriebsberater, Heft 47/2014:
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz entschied am 28.5.2014, dass keine Verpflichtung eines in Deutschland ansässigen illegalen Entleihers besteht, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zur deutschen Sozialversicherung zusätzlich an die deutsche Einzugsstelle zu zahlen, wenn der im Ausland tätig werdende illegale Verleiher den in seinem Staat anfallenden Sozialversicherungsbeitrag für Leiharbeitnehmer an die Einzugsstelle in seinem Staat gezahlt hat. Nach diesem Urteil kann in Fällen, in denen der Zoll mit Hilfe der Deutschen Rentenversicherung zum Ergebnis kommt, dass entgegen einem schriftlich vorliegenden Werkvertrag eine werkvertragliche Abwicklung nicht erfolgt sei, sondern eine illegale Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen habe, es nicht zu einer Haftung des deutschen Auftraggebers für Nachzahlungen von Beiträgen an die Deutsche Rentenversicherung kommen kann, wenn das ausländische Unternehmen neben der Lohnzahlung an seine Arbeitnehmer auch die erforderlichen Sozialversicherungsbeiträge an die Einzugsstelle in seinem Staat erbracht hat. Dies gilt selbst dann, wenn eine A1-Entsendebescheinigung nicht vorliegt.
Die vielfach bewusst übersehene Bedeutung der EUGH-Entscheidung “Herbosch-Kiere”, Blickpunkt Dienstleistung, Heft 11/2012:
Bei grenzüberschreitender Tätigkeit innerhalb der EU werden entsandten Arbeitnehmern aufgrund der VO 883/2004 A1-Entsendebescheinigungen erteilt, die nach dem Urteil des EuGH vom 26.1.2006 (“Herbosch Kiere”) eine sozialversicherungsrechtliche und eine arbeitsrechtliche Bindung des Entsandten zum Herkunftsstaat auch für die deutschen Gerichte und Behörden verbindlich feststellt. Daraus folgt, dass bei Arbeiten auf Werkvertragsbasis die Möglichkeiten einer gesetzlichen Fiktion eines Arbeitsverhältnisses bei angenommener illegaler Arbeitnehmerüberlassung über die §§ 9, 10 AÜG entfällt. Ferner hat der BGH in seinem Urteil vom 24.10.2006 – 1 StR 44/06 entschieden, dass auch die deutschen Strafgerichte im Hinblick auf § 266a StGB an die Entsendebescheinigungen gebunden sind.