Arbeitnehmerstatus eines Mitglieds einer spirituellen Gemeinschaft? BAG – 9 AZR 253/22

Sachverhalt: Gilt der Mindestlohn auch für Tätigkeiten in einer spirituellen Gemeinschaft?

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein. Dessen Zweck ist unter anderem die Volksbildung durch die Verbreitung des Wissens, der Lehre, der Übungen und der Techniken des Yoga und verwandter Disziplinen sowie die Förderung der Religion.

Zur Verwirklichung seiner Zwecke betreibt der Beklagte Zentren und Seminarhäuser. Als Vereinsmitglieder gehören ihm rund 240 Sevakas an. Sevakas leben in Ashrams und Zentren in indischer Ashram- und Klostertradition zusammen. Sie widmen sich dort der Übung und Verbreitung der Yoga Lehre.

Als Leistung zur Daseinsfürsorge gewährt der Beklagte Sevakas Unterkunft und Verpflegung. Auf das monatliche Taschengeld iHv. bis zu 390,00 Euro wird bei Führungsverantwortung ein Aufschlag iHv. bis zu 180,00 Euro gezahlt. Sevakas sind gesetzlich kranken-, arbeitslosen-, renten- und pflegeversichert. Nach dreijähriger Zugehörigkeit zu einer Sevaka Gemeinschaft schließt der Beklagte für den jeweiligen Sevaka eine zusätzliche Altersversorgung ab, an die jährliche Beiträge iHv. 1.470,00 Euro abgeführt werden. Sevakas mit längerer Sevakamitgliedschaft im Rentenalter können weiterhin im Ashram leben. Können sie keine Tätigkeit mehr leisten, haben sie abhängig von der Rentenhöhe einen Kostenbeitrag iHv. monatlich 450,00 bis 550,00 Euro für Unterkunft und Verpflegung zu leisten.

Der Beklagte ist Alleingesellschafter der Yoga V GmbH, die über einen Internetshop diverse Produkte vertreibt. Gewinne gehen an den Beklagten. Für die bei der Yoga V GmbH anfallenden Tätigkeiten werden auch Sevakas des Beklagten eingesetzt. 

Werden Vereinsmitglieder tätig, kann unter Umständen der Mindestlohn anfallen

Die Klägerin ist Volljuristin. Sie bewarb sich bei dem Beklagten mit dem Ziel, ganzheitliches Yoga zu lernen, zu leben und an andere Menschen weiterzugeben. Dafür schlossen die Parteien einen Vertrag über die Mitarbeit als Sevaka-Mitglied in der Yoga V Ashram Gemeinschaft“. Nach dem Vertrag war eine Nebentätigkeit der Klägerin bei Dritten untersagt. 

Die Klägerin leistete für den Beklagten im Rahmen ihrer Seva verschiedene Dienste. Seit 2017 war sie stellvertretende Teamleiterin bei der Seminarplanung und im Zertifikatebüro, später plante sie Unterricht und war ab August 2017 dem Team Social media/Onlinemarketing zugeordnet. Danach wurde ihr die stellvertretende Teamleitung und die Teamleitung im Onlinemarketing übertragen. Die Klägerin führte spirituelle Rituale durch und befasste sich daneben mit datenschutzrechtlichen Themen.

Die Klägerin war der Ansicht, dass zwischen ihr und dem Beklagten ein Arbeitsverhältnis sattgefunden hat. Daher verlangte sie vom Beklagten für den Zeitraum von 1. Januar 2017 bis zum 30. Juni 2020 die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns.

Die Klägerin hat in erster Instanz den Beklagten und die Yoga V GmbH gesamtschuldnerisch auf Zahlung von 200.124,30 Euro brutto in Anspruch genommen. Daraufhin verurteilt das Arbeitsgericht den Beklagten zur Zahlung von 46.118,54 Euro brutto nebst Zinsen. Auf die Berufung des Beklagten wies das Landesarbeitsgericht die Klage insgesamt ab. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidung des BAG: Die Klägerin hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn

Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 30. Juni 2020 einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 1 Abs. 1 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde hat. Die Klägerin war Arbeitnehmerin und unterfiel damit dem persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes.

Die Klägerin hat sich zwar ausdrücklich auf mitgliedschaftlicher Vertragsgrundlage zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Die formell auf vereinsrechtlicher Grundlage vereinbarten, auf einen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichteten mitgliedschaftlichen Pflichten der Parteien begründen aber einen Arbeitsvertrag.

BAG: Erbringen Mitglieder eines Vereins Leistungen wie Arbeitnehmer, haben sie Anspruch auf den Mindestlohn

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Hierzu führte das BAG aus, dass der materielle Vertragsinhalt auf die Erbringung fremdbestimmter, weisungsgebundener Arbeit in persönlicher Abhängigkeit gerichtet war. Daher handelte es sich bei der vertraglich geschuldeten Seva um in persönlicher Abhängigkeit durchzuführende Tätigkeiten. Diese sind ihrem äußeren Erscheinungsbild nach mit denen eines Arbeitsverhältnisses identisch.

Der Vertrag war darauf angelegt, dass die Klägerin dem Beklagten ihre gesamte Arbeitskraft zur Verfügung stellt und seine Leistungen ihr einziges Arbeitseinkommen darstellen sollten. Die vom Beklagten gewährten Leistungen in Form von Verpflegung, Unterkunft und Taschengeld sollten es der Klägerin ermöglichen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Das BAG stellte weiterhin fest, dass weder die Vereinsmitgliedschaft der Klägerin, noch die religiöse oder weltanschauliche Ausrichtung des Beklagten der Annahme eines Arbeitsverhältnisses entgegenstehen.

Mitgliedschaft in einem Verein schließt Arbeitsrecht nicht per se aus 

Mit Blick auf die grundgesetzlich geschützte Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts es zwar zugelassen, dass die Mitglieder von Vereinen auf vereinsrechtlicher Grundlage zu Arbeitsleistungen in fremdbestimmter persönlicher Abhängigkeit verpflichtet werden, ohne Arbeitnehmer zu sein. Die mitgliedschaftliche Bindung an einen Verein kann ein Arbeitsverhältnis iSv. § 611a Abs. 1 BGB jedoch nur unter der Voraussetzung eines gleichwertigen arbeitsrechtlichen Schutzes ausschließen. Eine formell mitgliedschaftlich begründete Arbeitsverpflichtung darf nicht zu einer Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen führen.

Das heißt, wenn ein Verein seinen in erheblichem Umfang zur Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichteten Mitgliedern keinen Anspruch auf angemessene Vergütung einräumt, liegt anstelle oder gegebenenfalls zusätzlich zur formal begründeten Vereinsmitgliedschaft jedenfalls dann tatsächlich auch ein Arbeitsverhältnis vor.

Durch die (formell) mitgliedschaftlich begründete Arbeitsverpflichtung der Klägerin werden zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen umgangen. Die für das Rechtsverhältnis geltenden Bestimmungen in Satzung, Smriti und Mitgliedsvertrag gewährleisten nicht den arbeitsrechtlich gebotenen Mindestschutz. Der Beklagte hat der Klägerin den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn vorenthalten, indem er ihr lediglich das satzungsmäßig vorgesehene Taschengeld zahlte. 

Yogaverein stellt keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft dar

Auch das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften aus Art. 4 Abs. 1 und 2 iVm. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV steht einem Arbeitsverhältnis nicht entgegen. Gleichwohl berechtigt die verfassungsrechtlich gewährleistete Weltanschauungsfreiheit nicht zur Beschäftigung in der Seva ohne den zwingenden arbeitsrechtlichen Mindestschutz. Unabhängig davon stellte das BAG fest, dass es sich beim Beklagten weder um eine Religions- noch um eine Weltanschauungsgemeinschaft handelt.

Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht

Schließlich konnte das BAG nicht über die Höhe des Mindestlohnanspruchs der Klägerin entscheiden, da das Landesarbeitsgericht nicht die Anzahl der vergütungspflichtigen Stunden festgestellt hatte. Aus diesem Grund wies das BAG die Sache an das Berufungsgericht zurück. 

Hierzu liegt die Darlegungs- und Beweislast für die geleisteten Stunden beim Arbeitnehmer. Dazu genügt es, wenn der Arbeitnehmer vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Danach ist es Sache des Arbeitgebers im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert zu erwidern und im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen nicht nachgekommen ist. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. 

Fazit: Der gesetzliche Mindestlohn muss auch bei Arbeitsverhältnissen im Verein bezahlt werden

Aus dem Urteil wird ersichtlich, dass den Mitgliedern einer Gemeinschaft für die verrichteten Leistungen der gesetzliche Mindestlohn zusteht. Keine Gemeinschaft darf die zwingenden arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen umgehen. Für den Beklagten kommen sehr unangenehme finanzielle Folgen, wenn alle anderen Mitglieder gegen ihn gerichtlich vorgehen. Zudem bestehen erhebliche Nachforderungen der Sozialversicherung. Vorheriger anwaltlicher Rat hilft auch hier, um Risiken zu vermeiden. 

Zu diesen und anderen Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf. Herr Rechtsanwalt Greulich  hilft Ihnen gerne auch bei allen anderen Fragen rund um die Themen  Fremdpersonaleinsatz, insbesondere Recht der Werkverträge und ZeitarbeitArbeitsrecht,  Arbeits- und Wirtschaftsstrafrecht, sowie Europarecht. Darüber hinaus berät Sie Herr Greulich bei Fragen des Einsatzes von Selbständigen. Er unterstützt Sie im Falle von Sanktionen durch Behörden (Bußgeldbescheid etc.) und vertritt Sie sowohl gegenüber der Bundesagentur für Arbeit als auch, im Falle eines strafrechtlichen Vorwurfs, gegenüber Zoll oder Staatsanwaltschaft sowie vor Gerichten. Wenden Sie sich an Herrn Rechtsanwalt Greulich, wenn Sie sich vor den möglichen Risiken einer nicht rechtskonformen Durchführung Ihrer Tätigkeit absichern wollen.  Sie erreichen ihn per E-Mail (info@protag-law.com) und telefonisch unter 06221 33 863 – 0.