Stichentscheid im Gesellschaftsvertrag: Auswirkungen auf die Sozialversicherungspflicht von Geschäftsführern, Urteils SG Landshut S 1 BA 23/23

Einleitung 

Das Urteil des Sozialgerichts (SG) Landshut S 1 BA 23/23 behandelt die sozialversicherungsrechtliche Einordnung eines Gesellschafter-Geschäftsführers. Es ist bedeutsam, da es die Kriterien zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit bei Geschäftsführern einer GmbH verdeutlicht.

Sachverhalt: Ist ein Gesellschafter-Geschäftsführer mit 50 % Beteiligung immer selbständig tätig?

Die Deutsche Rentenversicherung stellte fest, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer abhängig beschäftigt ist

Die Klägerin ist eine GmbH, deren Gesellschafter-Geschäftsführer 50 % der Anteile hält. Für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.05.2022 stellte die Deutsche Rentenversicherung nach einer Betriebsprüfung fest, dass der Geschäftsführer als abhängig Beschäftigter zu werten sei und forderte Nachzahlungen in Höhe von 77.487,23 € an Sozialversicherungsbeiträgen. Die Klägerin argumentierte, dass der Geschäftsführer selbstständig sei, da er 50 % der Anteile halte und somit gleichberechtigt entscheiden könne. Die Rentenversicherung hielt jedoch dagegen, weil der Gesellschaftsvertrag eine Stichentscheid-Regelung vorsieht, wodurch der Geschäftsführer nicht die alleinige Entscheidungsbefugnis habe und somit als abhängig beschäftigt gelte.

Stichentscheid-Regelung

Die im Gesellschaftsvertrag der GmbH enthaltene Regelung besagt, dass bei Stimmengleichheit ein anderer Gesellschafter den Stichentscheid hat. Diese Regelung schränkt die Entscheidungsfreiheit des Geschäftsführers erheblich ein, da er nicht allein über die Geschicke des Unternehmens bestimmen kann, sondern bei gleichwertigen Stimmen die Entscheidungsmacht an einen anderen Gesellschafter abgegeben wird.

Entscheidung des Gerichts

Das Sozialgericht Landshut kam zu dem Schluss, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund der im Gesellschaftsvertrag verankerten Stichentscheid-Regelung nicht als selbstständig anzusehen ist. Obwohl der Geschäftsführer 50 % der Anteile hielt, war er in seiner Entscheidungsfindung nicht frei, da bei Stimmengleichheit ein anderer Gesellschafter den Stichentscheid hat. Das Gericht beurteilte die konkrete Ausgestaltung der Gesellschaftsverhältnisse und den Grad der Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers. Dies führte zur Einstufung als abhängig Beschäftigter gemäß § 7 SGB IV, da er keine unternehmerischen Freiheiten in ausreichendem Maße ausüben konnte.

Das Urteil stellte klar, dass eine wirksame unternehmerische Betätigung voraussetzt, dass der Geschäftsführer maßgeblich Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen kann. Da dies durch die Stichentscheid-Regelung nicht gegeben war, wurde die Versicherungspflicht bestätigt und die Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge als gerechtfertigt angesehen.

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbstständigen Tätigkeit

Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit ist ein zentrales Thema im Sozialversicherungsrecht. Eine abhängige Beschäftigung zeichnet sich durch Weisungsgebundenheit, Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers und eine fehlende unternehmerische Freiheit aus. Demgegenüber steht die selbstständige Tätigkeit, bei der die Person weitgehend frei über ihre Arbeitszeit, den Arbeitsort und die Art und Weise der Ausführung ihrer Aufgaben entscheiden kann. Im Fall des Gesellschafter-Geschäftsführers hängt die Einstufung stark von den vertraglichen Regelungen und der tatsächlichen Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft ab. Entscheidend ist, ob der Geschäftsführer maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft hat oder ob er weisungsgebunden handelt.

Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des Einflusses eines Geschäftsführers

Der Umfang der Kapitalbeteiligung eines Geschäftsführers, beispielsweise 50 %, ist ein wichtiger, aber nicht allein entscheidender Faktor für die Einstufung als selbstständig oder abhängig beschäftigt. Wesentlich ist auch das tatsächliche Ausmaß des Einflusses, den der Geschäftsführer auf Unternehmensentscheidungen ausüben kann. Entscheidend ist hierbei die Weisungsgebundenheit und die Möglichkeit, unternehmerische Entscheidungen autonom zu treffen. Bei einer Kapitalbeteiligung von 50 % ohne ausschlaggebende Entscheidungsbefugnis, wie es durch eine Stichentscheid-Regelung gegeben sein kann, wird die Person eher als abhängig beschäftigt angesehen. Dies verdeutlicht, dass nicht nur die Höhe der Kapitalbeteiligung, sondern vor allem die in der Satzung festgelegten Entscheidungsbefugnisse für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung ausschlaggebend sind.

Sperrminorität

Eine Sperrminorität ist eine Beteiligung, die ausreicht, um Entscheidungen der Mehrheit zu blockieren, ohne selbst die Mehrheit zu besitzen. Im vorliegenden Fall ist der Gesellschafter-Geschäftsführer zwar mit 50 % beteiligt, jedoch verfügt er aufgrund der Stichentscheid-Regelung nicht über eine effektive Sperrminorität. Die Bedeutung einer Sperrminorität liegt darin, dass sie einem Gesellschafter ermöglicht, wesentliche Entscheidungen zu beeinflussen oder zu verhindern, was als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit gewertet werden kann. Im vorliegenden Fall fehlt jedoch diese Entscheidungsbefugnis, was zur Einstufung als abhängig Beschäftigter führt.

Das Gericht wies die Klage ab und entschied, dass der Bescheid der Rentenversicherung rechtmäßig ist. Geschäftsführer wurde aufgrund seiner abhängigen Beschäftigung als versicherungspflichtig eingestuft. 

Fazit

Nicolas Prochaska

Das Urteil verdeutlicht, dass auch bei gleichmäßiger Kapitalbeteiligung gesellschaftsrechtliche Regelungen wie Stichentscheids-Klauseln zur Versicherungspflicht führen können. Außerdem unterstreicht das Urteil die Wichtigkeit klarer Regelungen zur Entscheidungsbefugnis in Gesellschaftsverträgen. Arbeitgeber sollten sicherstellen, dass Gesellschafter-Geschäftsführer über ausreichende Mitbestimmungsrechte verfügen, um als selbstständig eingestuft zu werden. Darüber hinaus zeigt das Urteil, dass nicht nur die formale Beteiligung am Kapital, sondern auch die tatsächliche Machtverteilung und Entscheidungsfreiheit entscheidend sind. Unternehmen sollten daher ihre Gesellschaftsverträge und internen Entscheidungsstrukturen regelmäßig überprüfen, um ungewollte sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

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