Leistungswille des Arbeitnehmers vs. Annahmeverzug des Arbeitgebers, BAG Urteil – 5 AZR 498/21
Sachverhalt: Befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, wenn dem Arbeitnehmer die Leistungswille fehlt?
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns.
Der Kläger war seit Juli 2008 bei dem beklagten Unternehmen als Vorarbeiter beschäftigt und betrieb daneben sein eigenes Baugewerbe. Auf das Arbeitsverhältnis fand der für allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Anwendung. Dieser enthält in § 14 eine zweistufige Ausschlussfristenregelung, wonach alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
Nach einem Gespräch zwischen dem Kläger und der Beklagten am 21.06.2017, erhielt der Kläger ein Schreiben von der Beklagten darüber, dass das Arbeitsverhältnis im beiderseitigen Einvernehmen mit sofortiger Wirkung gelöst wird. Dagegen erhobt der Kläger eine Kündigungsschutzklage.
Daraufhin teilte die Beklagte mit, dass sie mit dem oben genannten Schreiben keine außerordentliche fristlose oder sonstige Kündigung ausgesprochen habe, sondern lediglich das Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags im beiderseitigen Einvernehmen. Dann forderte die Beklagte den Kläger am 09.08.2017 auf, unverzüglich die Arbeit aufzunehmen.
Zur Arbeit erschien der Kläger aber nicht mehr. Die Vergütung zahlte ihm die Beklagte bis zum 30.06.2017.
Zwei Jahre später machte der Kläger Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum 1.7. bis 9.8.2017 geltend. Der Kläger war der Ansicht, die Beklagte sei im Streitraum wegen ihrer unwirksamen Arbeitgeberkündigung im Annahmeverzug gewesen, daher bestehe der Vergütungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns – damals 8,84 Euro brutto je Stunde.
Die Beklagte beantragte Klageabweisung, sie habe sich mangels Arbeitsangebots des Klägers nicht im Annahmeverzug befunden. Ferner führte die Beklagte aus, dass der Anspruch des Klägers nach § 14 BRTV-Bau wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen sei.
Das ArbG gab der Klage statt, das LAG wies die Berufung der Beklagten zurück. Mit der Revision verfolgte die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidung des BAG: Auch im Annahmeverzug kann der Mindestlohn nicht verfallen
Das BAG stellte grundsätzlich fest, dass die Ausschlussfristenregelung des § 14 Nr. 1 BRTV-Bau insoweit unwirksam ist, als sie die Geltendmachung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindestlohn beschränkt, § 3 Satz 1 MiLoG.
§ 3 Satz 1 MiLoG erfasst unmittelbar nur den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeit. § 615 Satz 1 BGB erhält jedoch dem Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum den Vergütungsanspruch aus § 611a Abs. 2 BGBaufrecht, es gilt das Lohnausfallprinzip mit der Folge, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich so zu stellen ist, als hätte er gearbeitet.
Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen konnte das BAG jedoch nicht entscheiden, ob im Streitraum überhaupt ein Anspruch des Klägers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs entstanden ist, der in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht nach § 14 Nr. 1 BRTV-Bau verfallen wäre. Daher wurde die Sache an das LAG zurückgewiesen.
Fehlender Leistungswille des Arbeitnehmers kann den Arbeitgeber vom Annahmeverzug befreien
Hierzu stellte das BAG fest, dass der Arbeitgeber gemäß § 297 BGB nicht in Annahmeverzug gerät, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu bewirken. Neben der Leistungsfähigkeit ist danach der Leistungswille eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Denn der leistungsunwillige Arbeitnehmer setzt sich selbst außer Stande, die Arbeitsleistung zu bewirken.
Der Arbeitgeber muss beweisen, dass der Arbeitnehmer zur Leistung nicht bereit war
Der Arbeitgeber hat darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer zur Leistung objektiv außer Stande oder subjektiv nicht bereit war. Wendet der Arbeitgeber die fehlende Leistungsfähigkeit oder den fehlenden Leistungswillen des Arbeitnehmers im Annahmeverzugszeitraum ein, reicht es zunächst aus, dass er Indizien vorträgt, aus denen hierauf geschlossen werden kann. Sodann ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei während des Verzugszeitraums leistungsunfähig oder leistungsunwillig gewesen, als zugestanden. Anderenfalls ist der Arbeitgeber für die fehlende Leistungsfähigkeit bzw. fehlenden Leistungswillen begründenden Tatsachen beweispflichtig
Der Kläger ist unstreitig der Aufforderung der Beklagten, die Arbeit bei ihr wiederaufzunehmen, nicht nachgekommen und hat auch nach Erwirken des entsprechenden Anerkenntnis-Teilurteils die Arbeit nicht wiederaufgenommen.
Anderweitiger Verdienst ist auf den Vergütungsanspruch anzurechnen
Ferner führte das BAG aus, dass das LAG außerdem die Frage der Anrechnung anderweitigen Verdienstes zu klären hat, wenn es feststellt, dass der Kläger im Streitraum leistungswillig war und der Beklagte damit im Annahmeverzug war.
Hierzu ist anderweitiger Verdienst nach § 11 Nr. 1 KSchG auf den Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs dann und insoweit anzurechnen, als der anderweitige Verdienst kausal durch Freiwerden von der bisherigen Arbeitspflicht ermöglicht wurde. Anzurechnen sind nicht nur Entgelte aus einem Arbeitsverhältnis, sondern auch Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit. Hat der Kläger im Vergleich zu den entsprechenden Zeiten tatsächlicher Beschäftigung im Streitzeitraum durch das Freiwerden seiner Arbeitskraft höhere Einkünfte und dadurch einen höheren Gewinn aus seiner gewerblichen Tätigkeit erzielt, muss er sich die Differenz nach § 11 Nr. 1 KSchG anrechnen lassen.
Fazit: Die fehlende Leistungswille befreit den Arbeitgeber vom Annahmeverzug
Aus dem Urteil des BAG wird deutlich, dass der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs eines Arbeitgebers in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer Ausschlussfrist nicht unterworfen werden kann. Gleichzeitig stellte das BAG fest, dass der Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs scheitert, wenn Leistungswille des Arbeitnehmers fehlt. Dies zu beweisen ist jedoch die Sache des Arbeitgebers. Selbst wenn das Gericht feststellen sollte, dass der Arbeitgeber im Annahmeverzug war, weil der Arbeitnehmer leitungswillig war, muss anderweitiger Verdienst des Arbeitnehmers im strittigen Zeitraum auf den Vergütungsanspruch angerechnet werden.
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