Entzug der unbefristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung wegen Unzuverlässigkeit bei arbeitsrechtlichen Verstößen, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.06.2019 – L 11 AL 27/19 B ER
Sachverhalt: Kann ein Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bei arbeitsrechtlichen Verstößen wegen Unzuverlässigkeit des Verleihers erfolgen?
Die Parteien streiten über die Frage des Entzugs einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung wegen verschiedener arbeitsrechtliche Verstöße des Verleihers, die zu dessen Unzuverlässigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 AÜG führen sollen.
Dieser Frage lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Verleiher hatte bereits am 20.01.1981 eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erhalten. Diese wurde am 05.07.1984 unbefristet erteilt. Die Bundesagentur für Arbeit prüfte im Jahr 2011 den Verleiher und stellte eine Reihe von Verstößen im Sinne von § 3 AÜG fest. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um die unzulässige Vereinbarung einer Probezeit bei erneuter Einstellung früher beschäftigter Zeitarbeiter. Zudem vermutete die Bundesagentur betriebsbedingte Kündigungen von Zeitarbeitern bei nur temporär fehlenden Möglichkeiten des Einsatzes. Es wurde weiterhin bemängelt, dass die Kündigungsfristen nicht eingehalten wurden. Außerdem kam es beim Verleiher zur Nichtzahlung bzw. Fehlern bei der Berechnung von Jahressonderzahlungen. Schließlich wurden auch Vergütungen von Zeitarbeitern falsch berechnet, die diesen für ausfallende Arbeitszeiten an Feiertagen zustanden. Die Folge seitens der Bundesagentur war eine Beanstandung der arbeitsrechtlichen Verstöße. Es erfolgte jedoch kein Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Es wurden auch keinerlei Auflagen erteilt. Auch die Zuverlässigkeit des Verleihers wurde nicht bezweifelt.
Im Jahre 2018 kam es zu einer neuen Betriebsprüfung des Verleihers durch die Bundesagentur für Arbeit. Hierbei stellte sie wieder eine Reihe von arbeitsrechtlichen Verstößen fest. Für den weiteren Verlauf besonders schwerwiegend waren jedoch Verstöße, die bereits bei der Prüfung sieben Jahre zuvor beanstandet worden waren. Hierbei handelt es sich erneut um betriebsbedingte Kündigungen von Zeitarbeitern bei Fehlen von Aufträgen. Daneben wurden weiterhin die Kündigungsfristen nicht eingehalten. Es kam auch wieder zu fehlerhaften Berechnungen des Lohns für ausgefallene Arbeitszeit an Feiertagen. Schließlich wurden erneut unzulässige Probezeiten trotz Vorbeschäftigung der Zeitarbeiter beim Verleiher festgestellt. Es kam außerdem zum Abbau von Guthabenstunden in den Arbeitszeitkonten für verleihfreie Zeiten. Daraus ergab sich zugleich eine Nichteinhaltung des entsprechenden Tarifvertrags in der Zeitarbeit. Außerdem stellte die Bundesagentur für Arbeit fest, dass Zeitarbeiter unbezahlt freigestellt wurden, ohne dass sachliche Gründe in deren Person vorlagen. Auch das Urlaubsentgelt war falsch berechnet oder überhaupt nicht ausgezahlt worden. Das Gleiche galt für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Damit korrespondierten falsche Angaben gegenüber den Zeitarbeitern zur Urlaubsabgeltung und zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Weiter verlangte der Verleiher unverhältnismäßige Erreichbarkeitszeiten der Zeitarbeiter, wenn diese nicht verliehen wurden. Schließlich wurden fehlende Daten im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag und die fehlende Qualifikation der Zeitarbeiter bemängelt. Die Bundesagentur für Arbeit verfügte daraufhin den Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Sie begründete dies unter anderem mit der fehlenden Zuverlässigkeit des Verleihers. Der Bescheid war sofort vollziehbar. Der Verleiher war somit unter Handlungsdruck, denn er durfte seinen Betrieb nicht weiter fortsetzen.
Der betroffene Verleiher beantragte die sofortige Vollziehung auszusetzen. Er führte eine Reihe von Gründen auf, weshalb einzelne Maßnahmen gegen Arbeitnehmer erfolgt seien. Die Bundesagentur für Arbeit konnte er jedoch nicht davon überzeugen den Entzug der Erlaubnis der Arbeitnehmerüberlassung zurückzunehmen und die Zuverlässigkeit anzunehmen. Sie bekräftige vielmehr ihre Entscheidung und hielt fest, dass einzelne Verstöße bereits 2011 bemängelt wurden, wie zum Beispiel Verstöße gegen das Kündigungsschutzgesetz und die Kündigungsfristen. Ebenso wurden bereits damals die häufigen Kündigungen und Wiedereinstellungen bemängelt, die den Schluss zuließen, dass der Garantielohn für verleihfreie Zeiten damit umgangen werden sollte. Da in der Vergangenheit keine Änderung erfolgt war, obwohl dies seitens der Bundesagentur für Arbeit bemängelt worden war, kam sie zu einer negativen Prognose für die zukünftige Zuverlässigkeit des Verleihers. Die Folge war daher ein Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Das SG Hannover und das LSG Niedersachsen-Bremen wiesen den Antrag des Verleihers zurück und bestätigten die Ansicht der Bundesagentur für Arbeit zum Entzug der Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung und zur Unzuverlässigkeit des Verleihers.
Die Entscheidung des LSG: Nicht abgestellte Verstöße in der Vergangenheit begründen die Unzuverlässigkeit des Verleihers und führen zum Entzug der Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung
Das LSG wies zunächst darauf hin, dass gem. § 86a Abs. 4 S.1 SGG ein Widerspruch gegen den Entzug der Erlaubnis der Arbeitnehmerüberlassung keine aufschiebende Wirkung hat. Eine solche könne nur angeordnet werden, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der Entzug zu Unrecht erfolgt ist und die Zuverlässigkeit des Verleihers besteht.
An dieser Zuverlässigkeit fehlt es, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen davon auszugehen ist, dass der Verleiher seine Tätigkeit nicht gemäß den geltenden rechtlichen Vorschriften ausüben wird. In Betracht kommen hier Verstöße gegen Kernvorschriften wie zum Beispiel Vergütung, Ansprüche auf Erholungsurlaub und sonstige geldwerte Leistungen. Es können aber auch kleinere Verstöße gegen arbeitsrechtliche Vorschriften ausreichen, wenn diese sich insgesamt summieren. Erforderlich ist eine negative Prognose für die Zukunft. Hierbei können auch frühere Verstöße mit einbezogen werden. Liegt diese negative Prognose vor, kann die Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung mittels eines Widerrufs entzogen werden.
Das LSG prüfte sodann zunächst, ob Kernpflichten verletzt waren und bejahte dies. Es nahm eine Falschberechnung des fortzuzahlenden Lohns für Feiertage an. Da dies bereits 2011 bemängelt worden war, geht das LSG davon aus, dass dies über mehrere Jahre hinweg fehlerhaft erfolgte. Dies spricht neben der fehlenden Zuverlässigkeit für eine mangelnde Betriebsorganisation im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 AÜG.
In den Probezeitvereinbarungen und den mehrfachen Kündigungen und Wiedereinstellungen sah das LSG eine methodische Vorgehensweise des Verleihers. Dadurch sollten Zeitarbeiter, die für verleihfreie Zeiten einen Anspruch auf Lohn hatten, um diese Lohnansprüche gebracht werden. Auch dies spricht für eine fehlende Zuverlässigkeit des Verleihers. Das gleiche gilt für unzulässige systematische Kündigungen.
Das LSG wies auch darauf hin, dass kurzfristige Auftragslücken einen Verleiher nicht berechtigen Zeitarbeiter betriebsbedingt zu kündigen. Derartige Auftragslücken würden nach der Rechtsprechung des BAG zum typischen Wirtschaftsrisiko von Zeitarbeitsunternehmen gehören. Lediglich bei dauerhaftem Auftragsrückgang ist dies zulässig. Allerdings trifft hier den Verleiher die Pflicht dies umfassend und anhand seiner Auftrags- und Personalplanung darzustellen. Da auch dieses Verhalten 2011 bemängelt worden war, nahm das LSG auch hieraus eine fehlende Zuverlässigkeit des Verleihers an. Dementsprechend bejahte es auch aus diesem Grund den Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung mittels eines Widerrufs.
Schließlich begründete das LSG die fehlende Zuverlässigkeit mit der unzulässigen Verlagerung des Beschäftigungsrisikos auf die Zeitarbeiter, indem aus den Arbeitszeitkonten unrechtmäßig Guthabenstunden entnommen wurden.
Schließlich nahm das LSG auch an, dass die Tätigkeit des Geschäftsführers des Verleihers für ein anderes Unternehmen die Annahme der Unzuverlässigkeit des Verleihers rechtfertigt. Der Hintergrund lag darin, dass der Geschäftsführer gleichzeitig Geschäftsführer eines weiteren Unternehmens war, das mit Arbeitnehmerüberlassung auf seiner Homepage warb. Dieses Unternehmen, das die gleiche Geschäftsanschrift hatte, war jedoch nicht im Besitz einer Erlaubnis der Arbeitnehmerüberlassung. Das LSG nahm daher an, dass dem Geschäftsführer elementare Grundkenntnisse im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung fehlten.
Fazit: Bei Nichtbeachtung von Beanstandungen der Bundesagentur droht Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Der vorliegende Fall zeigt, wie wichtig es ist, Prüfungen der Bundesagentur für Arbeit nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Hier empfiehlt es sich zum einen schon frühzeitig anwaltlichen Rat einzuholen, um mögliche Schwachstellen im Rahmen einer Prüfung durch Vorschaltung eines Audits vorher aufzudecken. Auf diese Weise lässt sich die eine oder andere Beanstandung bereits verhindern. Zudem empfiehlt es sich, die Mitarbeiter entsprechend zu schulen. Auch wenn Beanstandungen erfolgten, sollten diese rechtlich überprüft werden, ob sie zutreffend sind. Je nach Ergebnis sollten diese dann abgestellt werden oder die Beanstandung zurückgewiesen werden. Erschwerend kommt nämlich hinzu, dass der Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung massive Beeinträchtigungen für die betroffenen Verleiher zur Folge hat. Ein Widerspruch gegen einen entsprechenden Widerruf hat regelmäßig keine aufschiebende Wirkung. Damit steht das Unternehmen sehr schnell mit dem Rücken zur Wand. Es empfiehlt sich daher frühzeitig gegenzusteuern. Bei Fragen hierzu können wir Sie jederzeit unterstützen.