Abweichung vom Equal Pay Grundsatz, BAG Urteil 5 AZR 143/19

Sachverhalt: Ist die Abweichung vom Equal Pay Grundsatz für Leiharbeiter europarechtlich zulässig?

Die Klägerin war von April 2016 bis April 2017 als Leiharbeitnehmerin bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt und wurde an H&M & Co. KG verliehen. Sie erhielt einen Stundenlohn von 9,00 bis 9,23 Euro und verlangte eine höhere Vergütung gemäß dem Gleichstellungsprinzip („equal pay“), da vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers 13,64 Euro pro Stunde erhielten. Der niedrigere Lohn der Klägerin basierte auf einem Tarifvertrag zwischen dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und der Gewerkschaft ver.di, der Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz („equal pay“) zuließ.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage der Klägerin ab. Die Klägerin legte Revision beim Bundesarbeitsgericht ein und argumentierte, dass sie gemäß § 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AÜG Anspruch auf gleiche Bezahlung wie die Stammarbeitnehmer des Entleihers habe.

EuGH-Urteil

Der EuGH entschied, dass die Abweichungen vom Gleichstellungsprinzip zulässig sind

Im Vorfeld der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wurde der Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Der EuGH entschied, dass tarifliche Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz unter bestimmten Bedingungen zulässig sind. Insbesondere muss der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer gewahrt bleiben. Der EuGH stellte klar, dass die Tarifverträge zwischen dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und der Gewerkschaft ver.di, die Abweichungen vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts erlauben, unionsrechtlich zulässig sind, sofern sie den erforderlichen Schutz für Leiharbeiter bieten.

Entscheidungsgründe

Die Abweichung vom Equal-Pay-Gebot sind europarechtskonform

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und folgte der Auslegung des EuGH. Die tariflichen Vereinbarungen zwischen iGZ und ver.di wurden als rechtswirksam und mit den unionsrechtlichen Anforderungen vereinbar angesehen. Der Tarifvertrag erlaubt Abweichungen vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts, was unionsrechtlich zulässig ist, solange der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer gewahrt bleibt. Laut dem Urteil wird der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer durch verschiedene Mechanismen gewährleistet, darunter:

  • Vergütung während verleihfreier Zeiten: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verdeutlicht, dass die „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104 durch die Möglichkeit zur Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie) ergänzt wird. Diese als „German derogation“ bezeichnete Ausnahme erlaubt es, vom Grundsatz der Gleichbehandlung beim Arbeitsentgelt abzuweichen, wenn Leiharbeitnehmer während verleihfreier Zeiten bezahlt werden. Diese Vergütung in verleihfreien Zeiten dient als möglicher Ausgleichsvorteil für eine Ungleichbehandlung beim Arbeitsentgelt durch Tarifverträge und stellt somit sicher, dass der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer gewahrt bleibt.
  • Sicherstellung eines Mindestlohns: Leiharbeitnehmer erhalten einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn, der ihre Grundversorgung sicherstellt. 
  • Zeitlich begrenzte Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz: Die Neufassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) ab dem 1. April 2017 verstärkt den Schutz der Leiharbeitnehmer. Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG dürfen Tarifverträge vom Gleichstellungsgrundsatz beim Arbeitsentgelt nur noch in den ersten neun Monaten des Leiharbeitsverhältnisses abweichen. Diese Frist kann auf bis zu 15 Monate verlängert werden, sofern nach sechs Wochen eine stufenweise Anpassung an das Entgelt der Stammarbeitnehmer erfolgt. Diese Regelung sichert den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer zusätzlich ab und entspricht den Möglichkeiten der Richtlinie 2008/104/EG, eine Wartezeit für die Gleichbehandlung vorzusehen. 

Fazit

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geforderte Differenzvergütung. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass die tarifvertraglichen Regelungen, die niedrigere Löhne für Leiharbeitnehmer vorsehen, rechtskonform sind. Die Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz sind zulässig, solange der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer gewährleistet ist. Der Gesamtschutz wird durch Maßnahmen wie Vergütung während verleihfreier Zeiten, Mindestlohn und zeitliche Begrenzung der Abweichung sichergestellt. Damit wurde die Revision der Klägerin zurückgewiesen und die geltenden tariflichen Abweichungen als zulässig anerkannt.

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