Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen durch GmbH-Geschäftsführer, BGH Urteil vom 3.05.2016 – II ZR 311/14
Sachverhalt
Die Klägerin (der Sozialversicherungsträger) machte einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten wegen des Nichtabführens der für mehrere Arbeitnehmer der U. GmbH geschuldeten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB geltend. Der Beklagte war seit Anfang September 2002 als Lagerarbeiter und Fahrer für diese GmbH tätig. Er erwarb einen zehnprozentigen Geschäftsanteil an der GmbH. Am 18. November 2002 wurde der Beklagte als Geschäftsführer der U. GmbH im Handelsregister eingetragen. Am 28. Februar 2003 wurde er als Geschäftsführer wieder abberufen.
Aus den strafrechtlichen Ermittlungen wurde deutlich, dass die U. GmbH im Zeitraum von April bis September 2002 in erheblichen Umfang Arbeitnehmer beschäftigte, ohne die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge an die Klägerin abzuführen.
Die Klägerin reichte ihre Klageschrift beim Landgericht ein und beantragte deren öffentliche Zustellung, da der Aufenthaltsort des Beklagten unbekannt sei. Das Landgericht bewilligte die öffentliche Zustellung und verurteilte den Beklagten durch Versäumnisurteil zur Zahlung von 28.730,43 Euro nebst Zinsen.
Dagegen legte der Beklagte Einspruch ein und machte geltend, dass die öffentliche Zustellung unwirksam sei. Das Landgericht verwarf den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Auf die Berufung des Beklagten entschied das Berufungsgericht das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten. Dagegen wendete sich der Beklagte an den BGH.
Die Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Fehlende Kenntnis des Beklagten
Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB erfordert zumindest einen bedingten Vorsatz des Beklagten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, handelt der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommene Geschäftsführer mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt. Im vorliegenden Fall teilte der Beklagte mit, dass er als Fahrer und Lagerarbeiter tätig war. Eine solche Tätigkeit vermittelt nicht notwendigerweise die Kenntnis, dass das Unternehmen in erheblichem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigte.
Primäre Darlegungs- und Beweislast des Sozialversicherungsträgers
Aus der Entscheidung des BGH ergibt sich, dass der Sozialversicherungsträger grundsätzlich alle Umstände dazulegen und zu beweisen hat, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes § 266a StGB ergibt. Der Geschäftsführer hat lediglich eine sekundäre Darlegungslast. Die Darlegungs- und Beweislast des klagenden Sozialversicherungsträgers erstreckt sich auch auf den Vorsatz des Beklagten.
Keine sekundäre Darlegungslast bei einer möglichen Sachverhaltsaufklärung durch die primär darlegungsbelastete Partei
Die Auferlegung einer sekundären Darlegungslast findet ihre Rechtfertigung darin, dass der primär
darlegungsbelastete Geschädigte außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Umstände besitzt, während der Anspruchsgegner die wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Allerdings besteht die sekundäre Darlegungslast nicht, soweit für die primär darlegungsbelastete Partei eine weitere Sachverhaltsaufklärung möglich und zumutbar ist.
Keine Hemmung der Verjährung durch unwirksame Zustellung der Klageschrift
Des Weiteren äußerte sich der BGH zur Verjährung. Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird die Verjährung durch die Erhebung der Klage, mithin durch Zustellung der Klageschrift (§ 253 Abs. 1 ZPO), gehemmt. Dabei muss die Zustellung den entsprechenden Bestimmungen der ZPO genügen, eine danach unwirksame Zustellung vermag die Verjährung nicht zu hemmen.
Eine öffentliche Zustellung der Klageschrift gemäß § 185 Nr. 1 ZPO ist nur dann zulässig, wenn der Aufenthaltsort des Beklagten allgemein unbekannt ist. Dabei ist es zunächst die Sache der Partei, die durch die Zustellung begünstigt wird (im vorliegenden Fall des Sozialversicherungsträgers), alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um den Aufenthalt des Zustellungsempfängers zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen dem Gericht darzulegen.
Eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt genügt grundsätzlich nicht für eine allgemein unbekannte Feststellung des Aufenthaltsortes vom Beklagten. Beispielsweise hätte der Sozialversicherungsträger durch persönliche Nachfragen beim ehemaligen Arbeitgeber, bei dem letzten Vermieter oder bei Hausgenossen und Verwandten des Zustellungsadressaten dessen Aufenthalt ermitteln können.
Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung, zumindest wenn die Fehlerhaftigkeit der Zustellung für das Gericht erkennbar war, ist unwirksam und bewirkt keine Hemmung der Verjährung gemäß §204 Ab. 1 Nr. 1 BGB.
Ergebnis
Aus oben genannten Gründen kam der BGH zu dem Ergebnis, dass die bisher dargelegten Nachforschungen des Sozialversicherungsträger nicht genügten, um die Bewilligung der öffentlichen Zustellung der Klageschrift zu rechtfertigen. Danach entschied der BGH die Berufungsentscheidung aufzuheben und die Sache erneut an das Berufungsgericht zurückzuweisen, damit dieses noch erforderliche Feststellungen treffen kann.