Versicherungspflicht der Gesellschafter-Geschäftsführer einer Familiengesellschaft, BSG Urteil vom 19.09.2019 – B 12 R 25/12 R

Sachverhalt: Sind die Gesellschafter-Geschäftsführer einer Familien-GmbH versicherungspflichtig?

Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Versicherungspflicht der GmbH-Geschäftsführer in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Die klagende GmbH, die mit Gesellschaftsvertrag gegründet wurde, betreibt ein Autohaus. Gesellschafter sind die Eheleute, sowie der Bruder eines der Ehepartner. Alle Gesellschafter waren gleichzeitig Geschäftsführer der GmbH. Die Eheleute waren zu 26% bzw. 23% Gesellschafter, der Bruder zu 51%.

Aufgrund einer Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis 31.12.2014 stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund Versicherungspflicht der Eheleute als GmbH-Geschäftsführer fest und forderte die Zahlung der Beiträge in Höhe von 115.325,53 Euro nach.

Dagegen wendete sich die klagende GmbH. Nachdem die Klage und die Berufung ohne Erfolg blieben, legte die klagende GmbH die Revision ein.

Entscheidung des BSG: Versicherungspflicht der GmbH-Geschäftsführer

Das BSG kam zu dem Ergebnis, dass die GmbH-Geschäftsführer in ihren Tätigkeiten der Versicherungspflicht unterlagen. Das BSG sah die Tätigkeit der Geschäftsführer als Beschäftigung vor. Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit.

Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig. Er muss über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können.

Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 % der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist dagegen grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter‑Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können.

Die Eheleute verfügten seit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages über lediglich 23% bzw. 26% der Gesellschaftsanteile, daher waren sie abhängig beschäftigt.

Keine Ausnahme durch die frühere „Kopf und Seele“-Rechtsprechung

Zwar konnte nach der sogenannten früheren „Kopf und Seele“-Rechtsprechung eine rechtlich bestehende Abhängigkeit durch die tatsächlichen Verhältnisse überlagert sein und eine selbstständige Tätigkeit etwa vorliegen. Dies war der Fall, wenn ein Geschäftsführer aufgrund seiner Stellung in der Familie die Geschäfte der Gesellschaft wie ein Alleingesellschafter nach eigenem Gutdünken führte und die Ordnung des Betriebes prägte. Er war „Kopf und Seele“ des Unternehmens oder er übte ‑ wirtschaftlich gesehen ‑ seine Tätigkeit nicht wie für ein fremdes, sondern wie für ein eigenes Unternehmen aus. Aus dieser Rechtsprechung, die das BSG mittlerweile aufgegeben hat, kann aber für die klagende GmbH kein Vertrauensschutz hergeleitet werden. Die „Kopf und Seele“-Entscheidungen des BSG behandelten im Wesentlichen Fälle von Ehegatten sowie Verwandten in gerader Linie. Die GmbH-Geschäftsführer durften nicht darauf vertrauen, dass aufgrund der Besonderheiten ihres Falles sich ein Anwendungsfall der „Kopf und Seele“-Rechtsprechung gebildet hätte.

Kein Vertrauensschutz aufgrund einer vermeintlich geänderten Verwaltungspraxis der Deutschen Rentenversicherung Bund

Aufgrund einer vermeintlich geänderten Verwaltungspraxis der Deutschen Rentenversicherung Bund besteht auch kein Vertrauensschutz. Die Beitragspflichtigen dürfen zwar nicht für eine zurückliegende Zeit mit einer Beitragsnachforderung überrascht werden, die in Widerspruch steht zu dem vorangegangenen Verhalten der Verwaltung, auf deren Rechtmäßigkeit sie vertraut haben und vertrauen durften. Eine vertrauensstiftende gesicherte Rechtspraxis liegt aber gerade nicht vor, wenn ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ eine Rechtsfrage nicht abschließend geklärt ist. Auch erweckten die Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger nie den Anschein, bei Familiengesellschaften griffe automatisch die „Kopf und Seele“‑Rechtsprechung, sondern sie wiesen auf die Notwendigkeit individueller Prüfung hin.

Fazit: Anteile an GmbH befreien nicht von Sozialabgaben

Aus dem Urteil lässt sich festhalten, dass die gleichzeitige Inhaberschaft an der GmbH nicht unbedingt auf eine selbständige Tätigkeit von Geschäftsführern hindeutet. Daher sind die Geschäftsführer, die auch Gesellschafter sind, nicht in jedem Fall von den Beiträgen in die Deutsche Rentenversicherung befreit.

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