Vergütung von Reisezeiten bei Auslandsentsendungen, BAG Urteil vom 17.10.2018 – 5 AZR 553/17

Entsendet der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorübergehend zur Arbeit ins Ausland, sind die für Hin- und Rückreise erforderlichen Zeiten wie Arbeit zu vergüten.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Vergütung von Reisezeiten.

Der Kläger ist seit 1988 bei der Beklagten, einem Bauunternehmen, als technischer Mitarbeiter mit Dienstsitz in L beschäftigt und arbeitsvertraglich verpflichtet, auf wechselnden Baustellen im In- und Ausland zu arbeiten. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (iF RTV-Bau) Anwendung. Danach hat der Arbeitgeber den Angestellten kostenlos zur Arbeitsstelle zu befördern oder ihm die Fahrtkosten in Höhe von 0,20 EUR je gefahrenem Kilometer ohne Begrenzung zu erstatten. Das gilt auch für den unmittelbaren Wechsel zu einer anderen Arbeitsstelle und für die Rückfahrt zu seiner Wohnung nach Beendigung der Tätigkeit auf der Arbeitsstelle.

Für die Zeit vom 10. August bis zum 30. Oktober 2015 wurde der Kläger von der Beklagten auf eine Baustelle nach Bengbu, China, entsandt. Der aus diesem Anlass ergänzend zum Arbeitsvertrag geschlossene Entsendevertrag vom 7. August 2015 enthält Regelungen unter anderem zur Vergütung während der Dauer des Einsatzes, zu Verpflegungsmehraufwand, Unterkunfts- und Reisekosten, jedoch nicht zur Vergütung von Reisezeiten.

Mit seiner Klage verlangte der Kläger Vergütung für 37 Stunden Reisezeit. Er war der Meinung, dass die gesamte Reisezeit von seiner Wohnung bis zur auswärtigen Arbeitsstelle und zurück wie Arbeit zu vergüten sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte zur Zahlung von 1.329,04 Euro brutto nebst Zinsen als Vergütung für weitere 37 Reisestunden verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für die Beklagte zugelassenen Revision verfolgt diese ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidung

Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger Anspruch auf Vergütung der für die vorübergehende Entsendung ins Ausland erforderlichen Reisezeiten als Arbeit hat.

Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit dem – eigennützigen – Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber.

Vergütung der An- und Abreise im Falle der Tätigkeit außerhalb des Betriebs

Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, Kunden aufzusuchen – sei es, um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die jeweilige An- und Abreise, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen.

Vergütung der Hin- und Rückreise bei einer vorübergehenden Entsendung ins Ausland

Dasselbe gilt für Reisen, die wegen einer vorübergehenden Entsendung zur Arbeit ins Ausland erforderlich sind. Diese sind fremdnützig und damit jedenfalls dann Arbeit im vergütungsrechtlichen Sinn, wenn sie – wie im Streitfall – ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgen und in untrennbarem Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung stehen. In diesem Fall gehören – wie die Fahrt des Arbeitnehmers zu und von einer (inländischen) auswärtigen Arbeitsstelle – Hin- und Rückreise bei der vorübergehenden Entsendung ins Ausland zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten.

Eine gesonderte Vergütungsregelung für Reisezeit durch Arbeits- oder Tarifvertrag

Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Reisezeiten getroffen werden. Dabei kann eine Vergütung für Reisezeiten auch ganz ausgeschlossen werden, sofern mit der getroffenen Vereinbarung nicht der jedem Arbeitnehmer für tatsächlich geleistete vergütungspflichtige Arbeit nach § 1 Abs. 1 MiLoG zustehende Anspruch auf den Mindestlohn unterschritten wird.

Im vorliegenden Fall enthalten weder der Arbeits- noch der Entsendevertrag eine ausdrückliche Vergütungsvereinbarung für Reisezeiten.Das bloße Schweigen der individualrechtlichen

Vereinbarungen der Parteien hierzu vermag die gesetzliche Vergütungspflicht der erforderlichen Reisezeiten nicht auszuschließen.

Grundsätze für die Erforderlichkeit von Reisezeit:

  • Gibt der Arbeitgeber Reisemittel und -verlauf vor, ist diejenige Reisezeit erforderlich, die der Arbeitnehmer benötigt, um entsprechend dieser Vorgaben des Arbeitgebers das Reiseziel zu erreichen.
  • Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Wahl von Reisemittel und/oder Reiseverlauf, ist der Arbeitnehmer aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Vertragsteils (§ 241 Abs. 2 BGB) im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet, das kostengünstigste Verkehrsmittel bzw. den kostengünstigsten Reiseverlauf zu wählen. Bei einer Flugreise ist deshalb grundsätzlich die Reisezeit erforderlich, die bei einem Direktflug in der Economy-Class anfällt, es sei denn, ein solcher wäre wegen besonderer Umstände dem Arbeitnehmer nicht zumutbar. Die zuletzt angesprochenen Umstände muss der Arbeitnehmer darlegen.

Aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts konnte das BAG nicht entscheiden, in welcher Höhe die Klage begründet ist. Aus diesem Grund wurde die Sache zur neuen Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.