Tarifliche Abweichung von der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer – Tarifgebundenheit eines Leiharbeiters? LArbG Baden-Württemberg v. 2.12.20 – 4 Sa 16/20
Sachverhalt: Muss ein Leiharbeiter tarifgebunden sein, damit eine tarifliche Abweichung von der Höchstüberlassungsdauer Anwendung findet?
Im vorliegenden Fall befasste sich das LArbG mit der durch den TV LeiZ verlängerten Höchstüberlassungsdauer. Der Kläger wurde von seiner Arbeitgeberin im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung durchgehend und ununterbrochen vom 31. März 2014 bis 31. Mai 2019 als Produktionshelfer Metall an die Beklagte überlassen. Seit dem 1. April 2017 beträgt die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer 18 Monate. Nach § 1 I b AÜG kann aber von der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer durch tarifliche Regelungen abgewichen werden.
In der Metall- und Elektrobranche wurde von Südwestmetall und der IG Metall ein Tarifvertrag Zeitarbeit (TV Leiz)abgeschlossen, der die Höchstüberlassungsdauer auf 48 Monate verlängert. Außerdem enthält der TV Leiz eine Regelung darüber, dass die Betriebsparteien im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung den Einsatz von Leiharbeit/Zeitarbeit und die Ausgestaltung der betrieblichen Flexibilität regeln können. Unter anderen kann in dieser Vereinbarung die Höchstdauer des Einsatzes geregelt werden.
Die Beklagte schloss mit ihrem Gesamtbetriebsrat eine freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung, nach der der Einsatz von Leiharbeitern im direkten Bereich (Produktion) eine Höchstdauer von 36 Monaten nicht überschreiten darf.
Der Kläger vertrat jedoch die Auffassung, wegen Überschreitens der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten sei zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zustande gekommen.
Im Übrigen vertrat der Kläger die Auffassung, bei den auf der Grundlage von § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG abzuschließenden Tarifverträgen, also auch beim TV Leiz, handele es sich nicht um Betriebsnormen, sondern um Inhaltsnormen. Diese sollen direkt auf die Direktionsrechtsbefugnisse der Verleiher gegenüber den Leiharbeitern einwirken. Da der Kläger aber nicht Mitglied der IG Metall und somit nicht tarifgebunden sei, wirke diese tarifliche Regelung für ihn nicht unmittelbar und zwingend.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die erst ab 1. April 2017 zu berechnende Überlassungsdauer überschreite zwar die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten, halte sich mit 26 Monaten jedoch in den Grenzen der Regelung des TV Leiz.
Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.
Entscheidung des LArbG: Leiharbeiter ist nicht tarifgebunden, daher findet der Tarifvertrag mit abweichender Höchstüberlassungsdauer keine Anwendung
Gemäß § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG kann durch einen Tarifvertrag eine abweichende Höchstüberlassungsdauer festgelegt werden. Hierzu führte das LArbG aus, dass diese Vorschrift tarifliche Abweichungen zulässt: einerseits auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeiter, andererseits auf den Überlassungsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher.
Daher unterscheidet das LArbG zwischen den tariflichen Abweichungen zu § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs AÜG, wonach der Verleiher denselben Leiharbeiter nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen darf, und zu § 1 Abs. 1b 2. Halbs. AÜG, wonach der Entleiher denselben Leiharbeiter nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen darf.
Hierzu stellte das LArbG fest, dass es jedoch einer Klärung bedarf, ob eine hierauf beruhende Tarifregelung Betriebsnormcharakter oder Inhaltsnormcharakter hat. Die Frage ist deshalb relevant, weil bei einer Charakterisierung der entsprechenden Tarifnorm als Inhaltsnorm für eine unmittelbare und zwingende Wirkung eine beiderseitige Tarifbindung erforderlich wäre, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG, bei einer Betriebsnorm dagegen die alleinige Tarifbindung des Arbeitgebers ausreichen würde, §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG.
Das LArbG kam zu den folgenden Ergebnissen:
- Wenn im Tarifvertrag Abweichungen zu § 1 Abs. 1b 2. Halbs. AÜG festgelegt werden, handelt es sich um Betriebsnormen. Dies deckt sich mit der Zwecksetzung des Gesetzgebers, wonach die Überlassungshöchstgrenze der dauerhaften Substitution von Stammbeschäftigten durch Leiharbeiter entgegenwirken soll. Es geht also um die Grenzziehung, ab wann diese Substitutionsgefahr gesehen wird. Diese Grenze kann nur einheitlich unter Einbeziehung aller Leiharbeiter gezogen werden, unabhängig davon, ob diese tarifgebunden sind oder nicht. Es geht nur um das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft als Kollektiv, um die Zusammensetzung dieses Kollektivs. Im Rahmen der Zusammenstellung des Kollektivs sollen dem Arbeitgeber Grenzen gesetzt werden.
- Demgegenüber handelt es sich um eine Inhaltsnorm, wenn ein Tarifvertrag auch regelt, wie lange ein Leiharbeiter vom Verleiher überlassen werden darf – Abweichung von § 1 Abs. 1b 1. Halbs. AÜG. In diesem Fall soll die tarifliche Regelung dem Verleiher gerade Grenzen bei der Ausübung seines Direktionsrechts setzen. Der Verleiher und Vertragsarbeitgeber hat es im Arbeitsverhältnis zwischen ihm und dem Leiharbeiter zu unterlassen, den Arbeitnehmer länger an Dritte zu überlassen als nach der tariflichen Regelung erlaubt ist. Diese Regelung ist Inhalt des Pflichtenprogramms des verleihenden Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis.
Angesicht dessen führte das LArbG aus, dass im vorliegenden Fall der TV Leiz nicht vermocht hat, die gesetzliche Überlassungshöchstgrenze von 18 Monaten zu verschieben.
- Entweder war die Regelung des TV Leiz als Betriebsnorm beabsichtigt. Aber mangels inhaltlicher Regelung in Abweichung zu § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG verbleibt es dann bei der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer.
- Oder die Regelung des TV Leiz sollte zugleich inhaltlich auch auf das Leiharbeitsverhältnis und die Überlassungsberechtigung des Verleihers iSv. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG einwirken. In diesem Fall wäre der Kläger an diese tarifliche Regelung nicht gebunden mangels Mitgliedschaft in der tarifschließenden IG-Metall.
Aus den oben genannten Gründen kam das LArbG zu dem Ergebnis, dass der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG nach Ablauf des 30. September 2018 unwirksam wurde. Dies hatte gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zur Folge, dass damit ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten als zustande gekommen gilt.
Weiterhin führte das LArbG aus, dass der Kläger keine Erklärung abgegeben hat, dass er nach dem 30. September 2018 an seinem Arbeitsverhältnis zur Verleiherin festhalten will.
Fazit: Abweichung von der Höchstüberlassungsdauer nur für tarifgebundene Leiharbeiter
Das Urteil des LArbG macht die Möglichkeit der Abweichung von der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer durch einen Tarifvertrag kompliziert bis unmöglich. Es erachtet die Tarifgebundenheit des betroffenen Leiharbeiters für notwendig, um die abweichende tarifliche Regelung anzuwenden. Wenn der Leiharbeiter nicht tarifgebunden ist, kann ein Gericht zum Ergebnis kommen, dass die durch Tarifvertrag abweichende Höchstüberlassungsdauer keine Anwendung findet. In diesem Fall wird das Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeiter und dem Verleiher mit dem Überschreiten von 18 Monaten unwirksam. Zugleich gilt das Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeiter und dem Entleiher als zustande gekommen. Um Risiken zu vermeiden, sollte die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten daher nicht überschritten werden.
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