Selbständige contra Scheinselbständige bei Bühnenarbeitern, BGH Beschluss vom 13.12.2018, 5 StR 275/18
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall wurde der Angeklagte, Geschäftsführer der I GmbH, zu einem Jahr und sechs Monaten wegen Hinterziehung von Sozialabgaben verurteilt. Es wurde die Einziehung von 383.106,84 € bei der I GmbH angeordnet. I setzte Selbständige für Bühnenaufbau, Licht- und Tontechnik ein. Der Angeklagte nahm Kontakt zu arbeitswilligen Personen auf, buchte sie und teilte sie für bestimmte Veranstaltungen ein. Selbständige wurden im Team tätig.
Professionelle Gruppe zur Durchführung der Bühnenarbeiten
Dabei beschränkte sich der Angeklagte nicht auf die bloße Vermittlung von Personen aus einem bereits vorhandenen Pool der in Frage kommenden Helfer, sondern erstrebte die Schaffung einer professionellen Gruppe zur Durchführung der im Vorfeld der Veranstaltungen erforderlichen Arbeiten. Sein Ziel war die langfristige Tätigkeit, Schulung des Personals und Verbesserung der Arbeitsabläufe.
Hinweis auf die Risiken auf Scheinselbständigkeit durch einen Fragebogen
Der Angeklagte wurde zum Thema der Scheinselbständigkeit durch einen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater beraten, auf dessen Empfehlung er von jedem „Subunternehmer“ einen Fragebogen
ausfüllen ließ. Dieser Fragebogen wies auf Risiken hin. Dem Angeklagten waren die Abläufe und die fragwürdige Einstufung damit bekannt.
Vertraglicher Ablauf und Personalplan für die Selbständigen
Potenziellen Auftraggebern wurde ein Bestellformular mit zu erwartenden Arbeiten, Anzahl der benötigten Selbständigen, deren erwartete Qualifizierung und zeitliche Einteilung der Abläufe zur Verfügung gestellt. Mit dem jeweiligen Auftraggeber wurde ein Vertrag geschlossen, in dem er sich verpflichtete, die angeforderte Anzahl an Arbeitern zur Verfügung zu stellen. Durch die I wurde ein Personalplan erstellt, der den vorgesehenen Selbständigen übermittelt wurde. Er enthielt neben der Angabe, für welche Veranstaltung die jeweilige Person vorgemerkt wurde, auch Einsatzort und -zeit sowie die Einteilung der auszuführenden Tätigkeit je nach Ausbildungsstand oder Fähigkeiten. Die Einteilung vor Ort in Arbeitsgruppen wurde durch den Angeklagten oder den „Crewchef“ (Mitarbeiter des Angeklagten) organisiert. Bei größeren Projekten wurde ein „Vorarbeiter“ bestimmt.
Durchführung der Tätigkeit der Selbständigen
Die eingesetzten Selbständigen erstellten die Aufbauten gemeinsam ohne abgrenzbare Leistungsteile, nach Bedarf durch Mithilfe in anderen Bereichen. Die eingesetzten Selbständigen trugen Bekleidung mit Firmenlogo des Angeklagten, was zumindest erwünscht war. Formell behandelte der Angeklagte die eingesetzten Personen als Selbständige, die die Rechnungen an die I gestellt haben, dabei waren Vergütungssätze nicht verhandelbar. Die Selbständigen trugen ihre Arbeitszeit in ein von der l. zur Verfügung gestelltes Formular unter Angabe von Beginn, Ende und eventuell Pausenzeiten sowie jeweils ausgeführter Tätigkeit ein. Alle Selbständigen hatten ein Gewerbe angemeldet und nahmen auch selbst an, selbständig zu sein.
Entscheidung: Einsatz von Scheinselbständigen
Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass es sich um Scheinselbständige handelt. Diese waren Arbeitnehmer der I GmbH. Für die Selbständigkeit sprachen die Eingliederung in den Betrieb und Weisungen des Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung.
Die Merkmale einer selbständigen Tätigkeit
Die Merkmale einer selbständigen Tätigkeit sind eigenes Unternehmerrisiko, eigene Betriebsstätte, Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und im Wesentlichen die frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Maßgebend ist jedoch das Gesamtbild der Tätigkeit. Entscheidend sind getroffene Vereinbarungen und deren gelebte Praxis.
Im vorliegenden Fall gab es keine Verträge, daher war die gelebte Beziehung nach Annahme des jeweiligen Einzelauftrags entscheidend. I schuldete Auftraggebern Auf- und Abbau von Bühnen und Tribünen nebst Technik. Scheinselbständige errichteten gemeinsam das Gewerk und erfüllten ihre Tätigkeit nach Weisungen des Crewchefs der I GmbH.
Kein abgrenzbares Werk der einzelnen Scheinselbständigen
Terminbindung ist zwar bei Selbständigen unschädlich, im vorliegenden Fall gab es jedoch kein abgrenzbares Werk, sondern gemeinsame Erstellung von Auf- und Abbauten. Bei Bedarf führten die eingesetzten Scheinselbständigen ergänzende Arbeiten auf.
Betriebsstätte der I. GmbH in den Veranstaltungsstätten
Außerdem stellte der BGH fest, dass die Tatsache, dass die Arbeiten nicht in der Betriebsstätte der I verrichtet wurden, irrelevant ist, weil die Struktur und Arbeitsorganisation als Übernahme und Erfüllung von Aufträgen in den jeweiligen Veranstaltungsstätten gekennzeichnet war.
Eindruck einer „corporate identity“ bei den Scheinselbständigen
Ferner spricht für eine abhängige Beschäftigung der eingesetzten Scheinselbständigen im Betrieb der l., dass sie höchstpersönlich zur Leistung verpflichtet waren und von der l. nach festen, nicht verhandelbaren Stundensätzen bezahlt wurden. Sie schrieben keine Rechnungen, sondern trugen lediglich ihre Arbeitszeit in von der l. zur Verfügung gestellte Formulare ein. Die Abrechnung gegenüber den Scheinselbständigen erfolgte durch die l. GmbH. Das Tragen einheitlicher Firmenkleidung war zumindest erwünscht, so dass die Scheinselbständigen nach außen im Namen der l. auftraten und der Eindruck einer „corporate identity“ entstand.
Eingliederung für die Crewchefs
Die Eingliederung in fremdbestimmte organisatorische Abläufe galt auch für die Crewchefs. Die Crewchefs arbeiteten nicht mit selbst ausgewähltem Personal; es wurde vielmehr eine fremdbestimmte personelle Zusammensetzung der Scheinselbständigen vorgenommen. Sie waren zwar gegenüber den gebuchten Scheinselbständigen weisungsberechtigt, handelten dabei allerdings als funktionsgerecht Dienende innerhalb eines fremdbestimmten Arbeitsprozesses.
Ablehnung eines Angebots durch Scheinselbständigen kein Indiz für selbständige Tätigkeit
Der Eingliederung der Scheinselbständigen in den Betrieb der l. stand nicht entgegen, dass sie das einzelne Arbeitsangebot des Angeklagten ablehnen konnten. Auch bei Abrufarbeit wird dies so gehandhabt.
Haftung des Verleihers im Falle der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Auch im Fall der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung gälte im Übrigen die l. als lohnzahlende Verleiherin gemäß § 10 Abs. 3 AÜG, § 28e Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB IV gegenüber der Einzugsstelle als Arbeitgeberin und hätte neben dem Entleiher für den auf das Arbeitsentgelt entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag einzutreten.
Kein Unternehmensrisiko der Scheinselbständigen
Im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Angeklagten trugen die Scheinselbständigen kein Unternehmerrisiko und erfüllten damit gerade dieses maßgeblich für eine selbständige Tätigkeit sprechende Merkmal nicht.
Wesentliches Kriterium für ein Unternehmerrisiko ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch unter Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, so dass der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel ungewiss ist. Die Scheinselbständigen wandten, was arbeitnehmertypisch ist, nur ihre eigene Arbeitskraft und Berufserfahrung auf. Auch die eigene Arbeitskraft wurde nicht mit ungewissem Erfolg aufgewandt, da ihre Tätigkeit unabhängig von Arbeitsergebnissen und ohne Haftung für Schlechtleistung nach festen Sätzen vergütet wurde.
Keine Rolle der Gewerbeanmeldung
Die Gewerbeanmeldung der eingesetzten Personen ist auch nicht aussagekräftig, da durch das Gewerbeamt nicht geprüft wird, ob tatsächlich eine Beschäftigung vorliegt.
Kein werbendes Auftreten der Scheinselbständigen auf dem Markt
Ferner traten die für die I. tätigen Scheinselbständigen über die Verteilung von Visitenkarten hinaus nicht werbend am Markt auf.
Mehrere Auftraggeber – kein Indiz für eine selbständige Tätigkeit
Mehrere Auftraggeber sind auch unerheblich, da auch Arbeitnehmer mehrere Arbeitgeber haben können.
Abschießend kam der BGH zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte einem Irrtum in Bezug auf die Arbeitgeberstellung der l. nicht unterlag, weil er Abläufe und Hinweise im Fragebogen zur Kenntnis nahm.