Ordentliche Kündigung – Betriebsratsanhörung – Auslandseinsatz, BAG Urteil vom 24.05.2018 – 2 AZR 54/18
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall streiten die Parteien in der Revisionsinstanz über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die im Inland ansässige Beklagte ist Teil eines international tätigen Konzerns der Öl- und Erdgasindustrie mit Hauptsitz in Schottland. Die Beklagte führt einen Betrieb in Deutschland in B, in dem regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. Der Kläger war bei der Beklagten seit Juni 2007 tätig und durchgehend im Ausland eingesetzt.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31. Mai 2016, ohne zuvor den im Betrieb B errichteten Betriebsrat zu beteiligen. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger die Klage, weil die Kündigung mangels Anhörung des Betriebsrats unwirksam und außerdem sozial nicht gerechtfertigt sei.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, weil der Kläger zu keinem Zeitpunkt in ihren Betrieb in B eingegliedert gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidung
Das BAG hob das Berufungsurteil auf und wies die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück. Das BAG stellte fest, das Landesarbeitsgericht durfte nicht annehmen, dass die ordentliche Kündigung der Beklagte gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam sei.
§ 102 Abs. 1 BetrVG
Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach deren Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.
„Ausstrahlung“ des Inlandsbetriebs
Der räumliche Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes richtet sich nach dem Territorialitätsprinzip. Das Gesetz gilt für alle in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Betriebe unabhängig vom Vertragsstatut der dort beschäftigten Arbeitnehmer. Ob es auch im Ausland tätige Arbeitnehmer deutscher Betriebe erfasst, ist eine Frage seines persönlichen Geltungsbereichs. Erfasst werden nur solche Mitarbeiter, bei deren Tätigkeit es sich um eine „Ausstrahlung“ des Inlandsbetriebs handelt. Erforderlich ist eine Beziehung zum Inlandsbetrieb, die es rechtfertigt, die Auslandstätigkeit der im Inland entfalteten Betriebstätigkeit zuzurechnen.
Keine Anwendung des BetrVG auf eine ausländische Tätigkeit
Dies ist bei einer ständigen Beschäftigung im Ausland regelmäßig nicht der Fall. Demzufolge findet das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung auf Arbeitnehmer, die ausschließlich für eine ausländische Baustelle eingestellt wurden. Dann ist der Beschäftigte keiner inländischen Betriebsorganisation zugeordnet.
Zuordnung zu einer inländischen Arbeitsorganisation durch Eingliederung
Hingegen liegt eine Zuordnung zu einer (inländischen) Arbeitsorganisation vor, wenn der Arbeitnehmer in diese eingegliedert ist. Hierfür ist kennzeichnend, dass er hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Inhalt der übernommenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht von Personen unterliegt, die in der im Inland gelegenen Betriebsstätte tätig sind. Dies gilt auch im Falle einer Auslandstätigkeit.
Auslandstätigkeit mit Anwendung eines drittbezogenen Einsatzes
Besonderheiten ergeben sich bei einer Auslandstätigkeit, wenn ein zu einem inländischen Arbeitgeber in arbeitsvertraglicher Beziehung stehender Arbeitnehmer in den Betrieb eines anderen Unternehmens eingegliedert und die Arbeitgeberstellung auf diese Weise „gespalten“ ist. Nach § 14 Abs. 1 AÜG bleiben Leiharbeitnehmer auch während der Zeit ihrer Arbeitsleistung bei einem Entleiher Angehörige des entsendenden Betriebs des Verleihers. Die Regelung stellt für Inlandsarbeitsverhältnisse klar, dass Leiharbeitnehmer betriebsverfassungsrechtlich grundsätzlich Teil der Belegschaft des Verleiherbetriebs sind und auch während der Dauer ihrer Überlassung in die dortige Betriebsorganisation eingegliedert bleiben. Handelt es sich um eine andere Form des drittbezogenen Personaleinsatzes, kommt ggf. eine entsprechende Anwendung von § 14 Abs. 1 AÜG in Betracht. Demzufolge ist vor dem Kündigungsausspruch bei der gebotenen normzweckorientierten Betrachtung von § 14 Abs. 1 AÜG ein beim überlassenden Arbeitgeber gebildeter Betriebsrat zu beteiligen.
Zurückweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht
Im genannten Fall konnte das BAG auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen, ob der Kläger dem Betrieb der Beklagten zuzurechnen war. Aus diesem Grund hat das Landesarbeitsgericht die erforderlichen Feststellungen nachzuholen und neu zu bewerten, ob das Arbeitsverhältnis durch Kündigung aufgelöst worden ist.