Massenentlassung – Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern, EuGH-Vorlage – 2 AZR 90/17
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin sowie mit mindestens elf weiteren Arbeitnehmern. Daraufhin erhob die Klägerin eine Kündigungsschutzklage. Unter anderem machte die Klägerin geltend, dass es sich um eine nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) anzeigepflichtige Massenentlassung gehandelt habe, weil die Beklagte innerhalb von dreißig Tagen zwölf Arbeitnehmer ordentlich gekündigt habe und im Entlassungszeitraum regelmäßig nicht mehr als 120 Arbeitnehmer beschäftigt habe.
Eine anzeigepflichtige Massenentlassung
Aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG ergibt sich, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 % der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer innerhalb von 30 Tagen entläßt.
Im vorliegenden Fall erstattete die Beklagte eine Massenentlassungsanzeige nicht. Vielmehr war die Beklagte der Ansicht, dass vier bei ihr dauerhaft eingesetzte Leiharbeitnehmer aus einem anderen Konzernunternehmen bei der Berechnung der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmern zu berücksichtigen seien, sodass sie mehr als 120 Arbeitnehmerbeschäftigt habe.
Daher ist im genannten Fall zu klären, ob auch Leiharbeitnehmer unter den Begriff des Arbeitnehmers laut § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG fallen
Während das Arbeitsgericht die Klage abwies, gab das Landesarbeitsgericht ihr statt. Daraufhin erstrebte die Beklagte mit ihrer Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Erforderlichkeit der Entscheidung des EuGH
Das Bundesarbeitsgericht entschied die Streitfrage nicht, da § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG unionsrechtskonform auszulegen sei. Dabei kommt es für die Entscheidung über die Revision der Beklagten auf den Inhalt von Art. 1 Abs. 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen an.
Laut dem Art. 1 Abs. 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der RL 98/59/EG versteht man unter Massenentlassung Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen die Zahl der Entlassungen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen unter anderem mindestens 10 % in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern beträgt.
Vorlagefragen
Gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) legte das Bundesarbeitsgericht dem Gerichtshof der Europäischen Union die folgenden Fragen vor:
- Ist Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG dahin auszulegen, dass zur Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb tätigen Arbeitnehmer auf die Anzahl der im Zeitpunkt der Entlassung bei gewöhnlichem Geschäftsgang beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen ist?
- Ist Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a RL 98/59/EG dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb eines entleihenden Unternehmens tätigen Arbeitnehmer dort eingesetzte Leiharbeitnehmer mitzählen können?
Sofern die zweite Frage bejaht wird:
- Welche Voraussetzungen gelten für die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Bestimmung der Anzahl der in der Regel in einem Betrieb eines entleihenden Unternehmens tätigen Arbeitnehmer?
Jetzt bleibt abzuwarten, wie der EuGH die vorgelegten Fragen beantwortet.