Krankheitsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers, LAG Schleswig-Holstein Urteil – 6 Sa 361/17

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

Die Klägerin arbeitet in Vollzeit als Kassiererin in einem Verbrauchermarkt der Beklagten. Von 2011 bis 2016 fehlte die Klägerin wegen unterschiedlicher Krankheiten teilweise bis zu 180 Tage im Jahr.

In den Jahren 2014/2015 und 2016 wurden BEM-Verfahren (das betriebliche Eingliederungsmanagement) durchgeführt. In dem Abschlussbericht vom 22.04.2015 des BEM-Verfahrens wurde eine Versetzung der Klägerin an die Information oder eine Wechseltätigkeit zwischen Kasse und Information empfohlen, ggfs. nach vorheriger Weiterbildung, um weitere Krankheitsfälle zu vermeiden.

Nach der Anhörung des Betriebsrats zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum nächstmöglichen Termin, den sie mit dem 28.02.2017 angab.

Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht

Dagegen legte die Klägerin beim Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage ein. Sie hat behauptet, sämtliche Krankheiten seien ausgeheilt. Die Klägerin hat beantragt,

  • festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch Kündigung aufgelöst worden ist, und
  • die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte vertrat die Ansicht, dass für die Klägerin von einer negativen Gesundheitsprognosen auszugehen sei. Ferner behauptete die Beklagte, dass die Lohnfortzahlungskosten die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigen.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt und stellte fest, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und daher unwirksam. Eine negative Gesundheitsprognose könne nicht gestellt werden. Es sei künftig nicht mit Arbeitsunfähigkeitszeiten wie in der Vergangenheit zu rechnen.

Dagegen legte die Beklagte die Berufung ein.

Urteil des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam ist.

Als Begründung stellte das LAG fest, dass die Kündigung an den vom BAG entwickelten Grundsätzen (BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13) zu messen ist.

Grundsätze des BAG für eine sozial gerechtfertigte Kündigung

Danach ist bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen – erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes – zweite Stufe – festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen.

In Bezug darauf stellte das LAG fest, dass, auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen der Klägerin zuweilen über mehrere Wochen oder Monate erstrecken, angesichts der verschiedenen Krankheitsbilder (u. a. Infektionskrankheiten, Schulter- und Rückenbeschwerden) und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer langanhaltenden Erkrankung vorliegt.

Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten durch den Arbeitgeber

Zwar ist im vorliegenden Fall von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen, die Kündigung ist jedoch ungerechtfertigt. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Die Beklagte hat zwar das gesetzlich vorgesehene betriebliche Eingliederungsmanagement durchgeführt. Sie hat aber die Empfehlung des Betriebsarztes aus dem Abschlussbericht vom 22.04.2015 nicht umgesetzt. Sie hat es also unterlassen, ein im Kündigungszeitpunkt existierendes milderes Mittel als die Kündigung zu ergreifen, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

Im vorliegenden Fall bestand aus ärztlicher Sicht bei Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz die Aussicht, dass sich die Fehlzeiten der Klägerin künftig reduzieren. Hat ein betriebliches Eingliederungsmanagement mit positivem Ergebnis stattgefunden, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die betreffende Empfehlung umzusetzen. Kündigt er, ohne das versucht zu haben, muss er darlegen, warum die Maßnahme entweder undurchführbar war oder selbst bei einer Umsetzung nicht zu einer Reduzierung der Ausfallzeiten geführt hätte.

Die Beklagte hat zwar behauptet, ein Einsatz der Klägerin an der Information sei aufgrund mangelnder Qualifikation der Klägerin nicht möglich. Dieser pauschalen Behauptung der Beklagten ist die Klägerin jedoch entgegengetreten und hat vorgetragen, sie verfüge über die erforderlichen Kenntnisse, denn sie habe bereits in den Jahren 2011 bis 2013 an der Information gearbeitet. Dies wurde auch von der Vertreterin der Beklagten bestätigt.

Da überwiegende Arbeitgeberinteressen an der Nichtbeschäftigung der Klägerin nicht dargelegt worden sind, ist das Arbeitsverhältnis durch Kündigung nicht aufgelöst worden. Aus diesem Grund ist die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen.