Keine Belehrungspflicht bei langfristig erkrankten Arbeitnehmern hinsichtlich der Übertragung von Urlaubsansprüchen bei Nichtannahme, LAG Hamm, Urteil vom 24.07.2019 – 5 Sa 676/19
Sachverhalt
Die Parteien streiten über das Bestehen eines Urlaubsanspruchs der Klägerin aus dem Jahr 2017. Im Jahr 2017 erkrankte die Klägerin langfristig und konnte von dem ihr zustehenden Urlaubsanspruch im Jahr 2017 14 Tage ihres Urlaubsanspruchs nicht nehmen. Zuletzt beantragte die Klägerin festzustellen, dass ihr dieser noch zustehe. Der Urlaubsanspruch sei nicht verfallen, da der Arbeitgeber grundsätzlich dazu gehalten ist, den Arbeitnehmer dazu aufzufordern, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er habe ihn klar und rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt (BAG, Urteil vom 19.2.2019, 9 AZR 541/15).
Doch das Arbeitsgericht – sowie nach Berufung auch das LAG – wiesen die Klage ab.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts und LAGs: Eine Belehrung als Obliegenheit des Arbeitgebers ergebe aber nur dann Sinn, wenn der Arbeitnehmer in der Lage sei, auf diese zu reagieren und den Urlaub tatsächlich zu nehmen.
Im Falle einer langzeiterkrankten Arbeitnehmerin wie der Klägerin gölten die oben genannten Grundsätze nicht. Es sei dem Arbeitgeber wegen der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht möglich, dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Eine Belehrungspflicht bestünde somit nur dann, wenn die Arbeitnehmerin die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt habe und in der Lage sei, den Urlaub anzutreten.
In ihrer Berufungsschrift wendete die Klägerin jedoch ein, dass zum Ende des Jahres 2017 die Art und Dauer der weiteren Arbeitsunfähigkeit noch nicht festgestanden habe, weshalb die Hinweispflicht der Beklagten nicht entfallen sei. Ihrer Auffassung nach bestünde ansonsten eine Ungleichbehandlung der erkrankten mit der nicht erkrankten Arbeitnehmerin.
Dem setzte das LAG entgegen, dass es sich bei einer Arbeitnehmerin, die längerfristig arbeitsunfähig erkrankt ist und einer solchen, die arbeitsfähig ist, um zwei in Bezug auf die Urlaubserteilung nicht vergleichbare Personen handelt. Im vorliegenden Fall handle es sich deshalb nur um eine an den unterschiedlichen Lebenssachverhalten ausgerichtete unterschiedliche Behandlung.
Und auch wenn der Arbeitgeber gegen Ende des Jahres 2017 noch nicht wusste, wie lange die Arbeitsunfähigkeit andauern würde, bestünde solange keine Belehrungspflicht, solange die Arbeitsunfähigkeit anhielt. Unabhängig von einer Belehrung konnte ein Verfall von Urlaubsansprüchen zum 31.12. des Kalenderjahres jedenfalls nicht durch Unkenntnis der Arbeitnehmerin von einem drohenden Verfall und einer notwendigen Beantragung erlöschen.
Auffassung des LAG: Die Beantragung oder Erteilung des Urlaubes war vielmehr objektiv nicht möglich.
Im Fall der Arbeitsunfähigkeit erlöschen Urlaubsansprüche erst nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ablauf des Kalenderjahres, aus dem sie resultieren. Eine von der Klägerin erwartete Belehrung wäre somit schlichtweg falsch. Zu einem früheren Erlöschen wäre es erst nach Genesung der Klägerin gekommen und hätte sodann eine Belehrung der Beklagten erfordert. Hierzu ist es allerdings nicht gekommen.
Außerdem wären unabhängig davon die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auch bei einer Belehrung durch die Beklagte erloschen. Die fehlende Belehrung des Arbeitgebers habe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG, Urteil vom 19.02.2019, 9 AZR 423/16) lediglich die Folge, dass bestehende Ansprüche auf das Folgejahr bis zum 31.03. übertragen werden.
Ebenso wird ein aufgrund Arbeitsunfähigkeit nicht angetretenen Urlaub lediglich auf das Folgejahr übertragen. Gleichwohl erlischt dieser, wenn er wegen anhaltender Arbeitsunfähigkeit nicht angetreten werden kann. Den Zweckbestimmungen könne eine Urlaubsübertragung weiterhin nur insoweit entsprechen, als dass die Übertragung eine gewisse zeitliche Grenze nicht überschreite. Somit sei eine Begrenzung des Übertragungszeitraumes zulässig (EuGH, Urteil vom 22.11.2011, C-214/10). Der Zeitpunkt der Urlaubinanspruchnahme müsse demnach noch in einem Zeitraum geschehen, der einen zeitlichen Bezug zum Kalenderjahr des Entstehens aufweist. Nach Ablauf dieses Zeitraumes, der mit 15 Monaten nach Ende des Kalenderjahres des Entstehens festgelegt ist (BAG, Urteil vom 11.6.2013, 9 AZR 855/11), erlischt der Urlaubsanspruch in jedem Fall.