Inflationsausgleichsprämie für Leiharbeitnehmer -Tarifliche Abweichungen vom AÜG, ArbG Urteil 1 Ca 370 e/24
Das Urteil behandelt die Frage, ob eine Leiharbeitnehmerin Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie gemäß dem Tarifvertrag Inflationsausgleichsprämie (TV IAP ME) hat. Die Entscheidung klärt zentrale Aspekte zur Abbedingung des gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatzes nach § 8 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) durch Tarifverträge sowie die Anspruchsvoraussetzungen für tarifliche Inflationsausgleichsprämien. Es hat besondere Bedeutung für die Praxis der Arbeitnehmerüberlassung, da es die Bedingungen für die Durchsetzung tariflicher Regelungen und deren Abweichung vom Gleichstellungsprinzip konkretisiert.
Sachverhalt: Haben Leiharbeiter einen Anspruch auf Inflationsausgleichsprämie?
Die Klägerin war von April 2022 bis Juli 2023 bei der Beklagten, einem Zeitarbeitsunternehmen, angestellt. Während ihrer Anstellung war sie bei einem Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie eingesetzt, das tarifliche Inflationsausgleichsprämien an seine Stammbelegschaft zahlte. Die Klägerin forderte eine Nachzahlung dieser Prämien, da sie meinte, ihr stehe diese aufgrund des Gleichstellungsgrundsatzes (§ 8 Abs. 1 AÜG) zu. Die Beklagte verweigerte die Zahlung mit Verweis auf den Tarifvertrag Branchenzuschläge Metall- und Elektroindustrie (TV BZ ME), der den Gleichstellungsgrundsatz abbedinge, sowie den TV IAP ME, der bestimmte Voraussetzungen für den Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie vorsehe.

Entscheidung des Gerichts
Gleichstellungsgrundsatz wirksam abbedungen
Das Gericht stellte fest, dass der TV BZ ME den Gleichstellungsgrundsatz nach § 8 Abs. 1 AÜG wirksam abbedinge. Dies sei rechtlich zulässig, da die tariflichen Regelungen ein gleichwertiges Entgelt durch Branchenzuschläge und Vergütung in überlassungsfreien Zeiten sicherstellen.
Kollisionsregelung in Bezugnahmeklauseln
Das Gericht hob hervor, dass Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen, die auf mehrere Tarifverträge verweisen, eine klare und verständliche Kollisionsregel enthalten müssen. Nur dann sei gewährleistet, dass die Arbeitnehmer ihre Rechte erkennen und durchsetzen können. Die Klausel im Arbeitsvertrag der Klägerin erfüllte diese Anforderungen:
- Es war geregelt, welcher Tarifvertrag bei mehreren in Frage kommenden Branchenzuschlagsregelungen vorrangig anzuwenden ist.
- Die Klausel erlaubte die Zuordnung des jeweils einschlägigen Tarifvertrags anhand der Branche des Kundenbetriebs, wodurch eine hinreichende Transparenz gegeben war.
Das Gericht betonte, dass eine Kollisionsregelung in der Arbeitnehmerüberlassung von besonderer Bedeutung sei, da die tarifliche Vergütung sich je nach Branche unterscheiden könne.
Voraussetzungen des TV IAP ME nicht erfüllt
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie aus dem TV IAP ME, da:
- Die Prämienzahlung erst ab Januar 2024 vorgesehen sei, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits beendet war.
- Der Tarifvertrag eine ununterbrochene Einsatzzeit von einem Monat in einem Kundenbetrieb erfordere. Unterbrechungen von mehr als drei Monaten führten dazu, dass die Einsatzzeit von vorn beginne. Die Klägerin erfüllte diese Voraussetzung nicht.
Keine Gleichstellungsverpflichtung trotz vorangegangener Prämienzahlungen
Die Zahlungen der Inflationsausgleichsprämien durch den Kundenbetrieb (Stammbelegschaft) führten nicht zu einer Verpflichtung der Beklagten zur Gleichstellung, da der TV BZ ME in Kombination mit dem TV IAP ME tarifvertraglich eine andere Regelung vorsehe.
Bedeutung des Urteils für die Praxis der Arbeitnehmerüberlassung
Das Urteil verdeutlicht, dass tarifliche Regelungen in der Arbeitnehmerüberlassung eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz rechtfertigen können, sofern diese im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben stehen. Es betont die Bedeutung klarer und transparenter Regelungen in Bezug auf Einsatzzeiten, Unterbrechungen und die Anspruchsberechtigung auf tarifliche Leistungen.
Leiharbeitnehmer können Ansprüche auf tarifliche Leistungen nur geltend machen, wenn sie die tariflich geregelten Voraussetzungen strikt erfüllen. Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz sind zulässig und führen nicht automatisch zu einer Benachteiligung, sofern ein Gesamtausgleich durch andere Vergütungsbestandteile gewährleistet ist.
Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass ihre Arbeitsverträge eine eindeutige und transparente Bezugnahme auf geltende Tarifverträge enthalten, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden. Die sorgfältige Dokumentation von Einsatzzeiten und Unterbrechungen ist entscheidend, um spätere Streitigkeiten über tarifliche Ansprüche zu vermeiden.
Fazit
Das Urteil bestätigt die Möglichkeit, den Gleichstellungsgrundsatz nach § 8 AÜG wirksam durch Tarifverträge abbedingen zu können. Es unterstreicht die Bedeutung tariflicher Regelungen zur Gestaltung von Vergütungsbestandteilen in der Zeitarbeitsbranche und die strikte Einhaltung tariflicher Anspruchsvoraussetzungen.
Empfehlungen für Arbeitgeber
Stellen Sie sicher, dass alle Arbeitsverträge transparent und eindeutig auf tarifliche Regelungen verweisen. Überwachen Sie Einsatzzeiten und Unterbrechungen genau, um potenzielle Ansprüche korrekt zu bewerten. Informieren Sie Mitarbeiter frühzeitig und umfassend über die Bedingungen und Auswirkungen der für sie geltenden Tarifverträge.

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