Haftung des Auftraggebers für nicht entrichtete Beiträge an die Unfallversicherung, LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss v. 14.05.20 – L 15 U 191/18
Sachverhalt: Haftet der Auftraggeber für nicht gezahlte Beiträge an die Unfallversicherung anstelle des Auftragnehmers?
Im vorliegenden Fall befasste sich das LSG mit der Frage über die Haftung eines Auftraggebers für die vom Auftragnehmer nicht entrichteten Beiträge an die Unfallversicherung.
Die Klägerin (der Auftraggeber) betrieb ein Projektentwicklungs- und Baubetreuungsunternehmen. Im Jahr 2008 errichtete sie als Bauherrin ein Pflegeheim mit betreutem Wohnen sowie Ärztehaus. Zur Realisierung des Projekts schloss die Klägerin unter anderem einen VOB-Bauvertrag mit der Firma T Bau GmbH (der Auftragnehmer bzw. der Nachunternehmer) über die Erbringung von Mauer- und Betonarbeiten gemäß dem Auftrags-Leistungsverzeichnis, das dem Vertrag als Anlage beigefügt war.

Die Auftragssumme betrug ursprünglich 83.631,19 Euro netto und 99.521,13 Euro brutto. Nach Beginn der Bautätigkeiten wurde der Auftrag allerdings erweitert. Der Auftragnehmer stellte dem Auftraggeber einen Gesamtbetrag von 305.712,28 Euro netto und 363.797,61 brutto in Rechnung.
Über das Vermögen des Auftragsnehmers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet, daher kam er seinem Pflichten gegenüber dem Unfallversicherungsträger (der Beklagten) zur Zahlung von Beiträgen in die Unfallversicherung nicht vollständig nach. Aus diesem Grund nahm der Unfallversicherungsträger die Klägerin im Wege der Beitragshaftung als Auftraggeber gemäß § 150 Abs. 3 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3a bis 3f SGB IV in Höhe von 9.447,06 Euro in Anspruch.
Zur Begründung führe er aus, dass der Auftraggeber für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Auftragnehmers wie ein selbstschuldnerischer Bürge hafte. Hierbei würden die Arbeitsentgelte in Höhe von 2/3 der Nettoauftragssumme geschätzt, da über die entstandenen Lohnkosten keine detaillierten Angaben gemacht worden seien.
Nach dem erfolglosen Widerspruch des Auftraggebers, erhob er die Klage beim Sozialgericht Dortmund. Nachdem die Klage abgewiesen wurde, legte der Auftraggeber die Berufung ein.
Entscheidung des LSG Nordrhein: Haftung des Auftraggebers anstelle des Auftragnehmers
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass das Sozialgericht zu Recht die Klage abgewiesen hat. Der Auftraggeber als Unternehmer des Baugewerbes haftet für die vom Auftragnehmer geschuldeten, aber nicht vollständig gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung.

Nach § 28e Abs. 3b SGB IV entfällt diese Haftung, wenn der Auftraggeber nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Auftragnehmer seine Zahlungspflicht erfüllt. Dies hat aber die Klägerin nicht nachgewiesen. Unabhängig davon verwies das LSG auf das generell fehlende Interesse des Auftraggebers an der Erfüllung der Zahlungspflichten des Auftragnehmers. Dieses fehlende Interesse begründet zumindest die Fahrlässigkeit des Auftraggebers.
Weiterhin führte das LSG aus, dass der Unfallversicherungsträger die der Beitragsberechnung zugrunde zu legenden Arbeitsentgelte schätzen durfte. Dies folgt aus § 165 Abs. 3 SGB VII. Weder der Auftragnehmer, noch der Auftraggeber haben erforderlichen Angaben zu den geleisteten Arbeitsstunden und die hierfür zu entrichteten Arbeitsentgelte rechtzeitig und vollständig gemacht.
Vielmehr hat sich der Unfallversicherungsträger bei seiner Schätzung zu Recht auf den anerkannten allgemeinen Erfahrungsgrundsatz gestützt, dass im Baugewerbe die maßgebliche Bruttolohnquote jedenfalls im Jahr 2008 zwei Drittel des Nettoumsatzes betrug. Die spätere Rechtsprechung geht noch weiter und nimmt an, dass bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen (Schwarzarbeit) die Nettoquote, die naturgemäß niedriger ist als Bruttolohnquote, im Baugewerbe zwei Drittel des Nettoumsatzes beträgt.
Ferner sieht das LSG die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überprüfung der Schätzung als unzulässig und nicht erforderlich an. Dies gilt jedenfalls dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, keine Erkenntnismöglichkeiten anhand von nachprüfbaren Unterlagen existieren, die eine konkrete Berechnung der Beiträge ermöglichen könnte.
Schließlich kam das LSG zu dem Ergebnis, dass der Unfallversicherungsträger zutreffend haftungsrelevante Arbeitsentgelte in Höhe von 203.808,19 Euro der Beitragsberechnung zugrunde gelegt hat. Zu Lasten des Auftraggebers ergibt sich eine Gesamthaftungssumme von 14.651,15 Euro.
Fazit: Für Haftungsbescheide kann geschätzt werden
Der Beschluss zeigt, dass der Auftraggeber anstelle des Auftragnehmers sowohl für die Sozialabgaben als auch für die Unfallversicherungsbeiträge haftet. Wenn Unternehmen Fremdpersonal einsetzen, sollten sie sich versichern, dass die Firmen, die Fremdpersonal zur Verfügung stellen, glaubwürdig sind. Denn anderenfalls drohen den Unternehmen, die Fremdpersonal einsetzen, hohe Risiken. Außerdem müssen alle Einzelheiten des Einsatzes gut dokumentiert werden. Dies könnte zumindest vor der Schätzung des jeweiligen Versicherungsträgers schützen.

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