Gleichbehandlung von Zeitarbeitern (Equal Pay) bei Überlassung an öffentliche Stellen? – EuGH Urteil – C-948/19
Sachverhalt: Haben Zeitarbeiter, die einer Unionsagentur überlassen werden, einen Anspruch auch Gleichbehandlung (Equal Pay)?
Im vorliegenden Fall handelt es sich um den Streit zwischen einem Zeitarbeitsunternehmen und seinen Zeitarbeitern, die einem Entleiher, einer Agentur der EU (dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen – EIGE) überlassen wurden.

Die Zeitarbeiter schlossen mit dem Zeitarbeitsunternehmen Arbeitsverträge. Sie arbeiteten als Assistentinnen bzw. Informatiker beim EIGE. Die Beschäftigungsverhältnisse zwischen dem Zeitarbeitsunternehmen und den Zeitarbeitern endeten zwischen April und Dezember 2018. Letztere waren jedoch der Ansicht, dass ihnen aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Equal Pay) noch Arbeitsentgelt geschuldet werde. Sie riefen einen Ausschuss für arbeitsrechtliche Streitigkeiten an, um die Zahlung zu erwirken.
Dieser Ausschuss vertrat die Auffassung, dass die Zeitarbeiter des Ausgangsverfahrens tatsächlich die Aufgaben des ständigen Personals des EIGE wahrnehmen. Von daher müsse ihr Arbeitsentgelt dem entsprechen, was das EIGE seinen Vertragsbediensteten zahle (Stichwort: Equal Pay).
Da das Zeitarbeitsunternehmen mit der Entscheidung des Arbeitsrechtsausschusses nicht einverstanden war, erhob es Klage beim Bezirksgericht, das die Klage abwies. Nachdem das Regionalgericht die Berufung des Zeitarbeitsunternehmens auch zurückgewiesen hatte, legte dieses beim Obersten Gerichtshof Revision ein.
Der Oberste Gerichtshof setzte das Verfahren aus und legte die Sache dem EuGH vor.
Entscheidung des EuGH: Die Überlassung von Zeitarbeitern an öffentliche Stellen kann als Zeitarbeit angesehen werden

Im Wesentlichen wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmung über die Gleichbehandlung von Zeitarbeitern in Art. 5 der Richtlinie 2008/104 über Leiharbeit (Equal Pay) auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar sei. Bedenken gab es, weil es sich bei dem Entleiher um eine Unionsagentur handelte.
Der EuGH führte aus, dass die Richtlinie über Leiharbeit für öffentliche und private Unternehmen gilt, bei denen es sich um Zeitarbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Unerheblich ist, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht.
Wenn es sich, wie im Ausgangsfall, beim Entleiher um eine Unionsagentur handelt, müssen folgende drei Voraussetzungen erfüllt werden. Der Entleiher muss:
– unter den Begriff „öffentliche und private Unternehmen“ fallen,
– einem „entleihenden Unternehmen“ entsprechen und
– eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ ausüben.
Hierfür definiert der EuGH den Begriff „Unternehmen“ so, dass er jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung umfasst, und zwar unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Unter einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ versteht der EuGH jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.
Zwar sind Tätigkeiten in Ausübung hoheitlicher Befugnisse grundsätzlich nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten einzustufen. Es gelten jedoch Dienste als wirtschaftliche Tätigkeiten, die, im allgemeinen Interesse und ohne Erwerbszweck im Wettbewerb mit den Diensten von Wirtschaftsteilnehmern erbracht werden, die einen Erwerbszweck verfolgen.
Der EuGH stellte fest, dass es sich bei den Tätigkeiten des EIGE nicht um die Ausübung hoheitlicher Befugnisse handelt. Dass das EIGE bei der Ausübung seiner Tätigkeiten keinen Erwerbszweck verfolgt, ist irrelevant. Entscheidend ist es, dass auf den maßgeblichen Märkten Dienstleistungen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen erbracht werden, die einen solchen Erwerbszweck verfolgen.
Im Übrigen entschied der EuGH, dass eine Unionsagentur wie das EIGE, wenn sie sich von einem Zeitarbeitsunternehmen Zeitarbeiter zur Verfügung stellen lässt, als solche in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104 fällt.
EuGH: Gleichbehandlung von Zeitarbeitern (Equal Pay) mit den Beamten der Union
Weiterhin wollte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass die mit einem dem EIGE überlassenen Zeitarbeiter besetzte Stelle im Sinne dieser Bestimmung als der „gleiche Arbeitsplatz“ angesehen werden kann. Selbst wenn alle Stellen, für die Arbeitnehmer unmittelbar vom EIGE eingestellt werden, Aufgaben umfassen, die nur von Personen wahrgenommen werden können, für die das Statut der Beamten der Union gilt. Oder ob eine solche Auslegung gegen Art. 335 AEUV, in dem der Grundsatz der Verwaltungsautonomie der Unionsorgane verankert ist, Art. 336 AEUV oder dieses Statut verstößt.

Gemäß Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104 entsprechen die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Zeitarbeiter während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Equal Pay-Grundsatz)
Hierbei bezieht sich der Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ auf die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage und Arbeitsentgelt. In diesem Bereich haben Zeitarbeiter einen Anspruch auf Gleichbehandlung.
In Bezug auf den Ausgangsverfahren sieht der EuGH, dass der festgelegte Grundsatz der Gleichbehandlung auf die Zeitarbeiter während ihrer Überlassung an die Unionsagentur in vollem Umfang anwendbar ist. Das heißt, dass die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Zeitarbeitern mit denen des auf der Grundlage des Statuts der Beamten der Union eingestellten Personals verglichen werden. Dies hat aber nicht zur Folge, dass diesen Zeitarbeitern der Status von Beamten zuerkannt würde.
Schließlich kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass die mit einem dem EIGE überlassenen Zeitarbeiter besetzte Stelle im Sinne dieser Bestimmung als der „gleiche Arbeitsplatz“ angesehen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn alle Stellen, für die Arbeitnehmer unmittelbar vom EIGE eingestellt werden, Aufgaben umfassen, die nur von Personen wahrgenommen werden können, für die das Statut der Beamten der Union gilt.
Fazit: Auch bei der Überlassung von Zeitarbeitern an öffentliche Stellen, kann der Gleichbehandlungsgrundsatz (Equal Pay) greifen
Aus dem Urteil wird ersichtlich, welche Wirkung der Gleichbehandlungsgrundsatz auf Zeitarbeitsunternehmen haben kann. Diese müssen den Zeitarbeitern, auch wenn sie einer Unionsagentur überlassen werden, unter Umständen die gleichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, als wären sie auf dem gleichen Arbeitsplatz angestellt. Um Risiken zu vermeiden, sollten die Zeitarbeitsunternehmen vor der Überlassung ihrer Arbeitnehmer zunächst prüfen, ob die öffentliche Stelle nach dem EU-Recht als Unternehmen anzusehen ist. Wird dies bejaht, muss geklärt werden, wieviel die Zeitarbeiter beim Entleiher hätten verdienen können, wenn sie beim ihm angestellt wären. Hierzu empfiehlt es sich anwaltlichen Rat einzuholen.

Herr Rechtsanwalt Andorfer hilft Ihnen auch bei allen anderen Fragen rund um die Themen Fremdpersonaleinsatz, insbesondere Recht der Werkverträge und Zeitarbeit, Arbeits- und Wirtschaftsstrafrecht, Deutsches und Europäisches Sozialversicherungsrecht sowie Europarecht. Ebenso berät Sie Herr Andorfer bei Fragen des Einsatzes von Selbständigen. Er berät Sie über die Durchführung Ihrer Tätigkeit, auditiert die Abläufe in Ihrem Betrieb wie bei einer Zollprüfung und hilft Ihnen die Risiken zu reduzieren. Sie erreichen ihn per E-Mail (andorfer@protag-law.com) und telefonisch unter 0621 391 80 10 – 0.