Geschäftsführende Kommanditisten – Chef im Außenauftritt, Angestellter im Rechtssinn? Urteil des LSG L 7 BA 1125/23
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte über die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung einer Kommanditistin zu entscheiden, die auf Grundlage einer Vollmacht für eine vermögensverwaltende Familien-KG Geschäftsführungsaufgaben übernommen hatte. Im Zentrum stand die Frage, ob diese Tätigkeit als selbstständige Mitunternehmerschaft oder als abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV zu qualifizieren ist. Die Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschaftern, die zugleich operative Aufgaben in Familiengesellschaften übernehmen.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft, deren Zweck in der Verwaltung des Familienvermögens liegt. Die Geschäftsführung oblag laut Gesellschaftsvertrag allein dem Komplementär. Eine Kommanditistin, die Beigeladene zu 1), wurde mit der operativen Geschäftsführung der KG betraut – nicht kraft gesellschaftsrechtlicher Verpflichtung, sondern auf Grundlage einer umfassenden zivilrechtlichen Vollmacht, die ihr zur Vertretung der Gesellschaft in sämtlichen Angelegenheiten erteilt wurde.

Die Beigeladene zu 1) war mit 30.000 Euro an der KG beteiligt. Gesellschaftsrechtlich hatte sie aber keine relevante Einflussmöglichkeit: Der Komplementär verfügte über 60 Stimmen, während alle Kommanditisten zusammen nur 37 Stimmen hatten. Ein gesellschaftsrechtliches Vetorecht oder eine Mitentscheidungskompetenz besaß sie nicht.
Ihre Tätigkeit war auf die vollständige operative Abwicklung der Immobilienverwaltung ausgerichtet: Vermietung, Instandhaltung, Steuerung interner und externer Hausverwaltungen, Zahlungsverkehr und Vertragsabschlüsse. Die Vergütung erfolgte pauschal auf Stundenbasis (40 €/Stunde) und wurde als Betriebsausgabe verbucht. Es handelte sich ausdrücklich nicht um eine vorweggenommene Gewinnbeteiligung. Ein unternehmerisches Risiko bestand nicht – auch bei Verlusten war eine Rückzahlung ausgeschlossen.
Die Deutsche Rentenversicherung bewertete die Tätigkeit als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und forderte Beiträge nach. Die Klägerin klagte hiergegen – blieb jedoch erfolglos.
Entscheidung des Gerichts
Das LSG wies die Berufung zurück und bestätigte die Feststellung der Sozialversicherungspflicht. Ausschlaggebend war die rechtliche und tatsächliche Eingliederung der Beigeladenen zu 1) in die Arbeitsorganisation der KG – trotz ihrer Gesellschafterstellung.
Der Gesellschaftsvertrag enthielt keine Verpflichtung zur Mitarbeit für Kommanditisten. Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) beruhte allein auf Vollmacht, nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage. Ihre Vergütung erfolgte unabhängig vom Gewinn der Gesellschaft und war nicht verlustabhängig. Damit fehlte es an dem typischen Mitunternehmerrisiko.
Fehlende unternehmerische Entscheidungsfreiheit
Trotz faktischer Alleinverantwortung für die Geschäftsführung hatte die Beigeladene zu 1) keine rechtlich abgesicherte Einflussmöglichkeit auf Gesellschaftsentscheidungen. Das Weisungsrecht des Komplementärs war rechtlich unbeschränkt – selbst wenn es in der Praxis kaum ausgeübt wurde. Nach ständiger BSG-Rechtsprechung ist für die Annahme von Selbstständigkeit eine im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich verankerte Weisungsfreiheit erforderlich. Eine bloß faktische Unabhängigkeit reiche nicht aus, da sie jederzeit widerrufbar sei („Schönwetter-Selbständigkeit“).
Funktionale Eingliederung trotz Eigenverantwortung
Die Beigeladene zu 1) war in eine fremde betriebliche Organisation eingegliedert. Sie erbrachte ihre Tätigkeit nicht als selbstständige Unternehmerin mit eigenem Marktauftritt, sondern ausschließlich zur Erfüllung des Gesellschaftszwecks der KG. Die von ihr wahrgenommenen Aufgaben (z. B. Verwaltung, Zahlungsverkehr, Unterschriftsbefugnis) standen vollständig im Dienst der Klägerin. Auch wenn sie über eigenes Büro und Ausstattung verfügte, trat sie nach außen als Repräsentantin der Gesellschaft auf, nicht als eigenständige Unternehmerin.
Kein tragendes unternehmerisches Risiko
Die Beigeladene zu 1) trug kein unternehmerisches Verlustrisiko. Ihre Vergütung war fest, laufzeitunabhängig und nicht erfolgsabhängig. Investitionen, die sie tätigte (z. B. Büroausstattung), waren geringfügig und nicht risikobehaftet. Die Kriterien eines Unternehmerrisikos wurden somit nicht erfüllt.
Insgesamt sah das Gericht keine tragenden Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit, sondern eine fremdbestimmte, funktionsgerecht eingegliederte Mitarbeit – und damit eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV.
Bedeutung des Urteils
Das Urteil hat erhebliche Bedeutung für die Praxis – insbesondere für Familiengesellschaften und vermögensverwaltende KGs. Es zeigt, dass Gesellschafter, die faktisch leitend tätig sind, nicht automatisch als selbstständig gelten, auch wenn sie nach außen hin wie Geschäftsführer auftreten.
Das LSG folgt der Linie des BSG, wonach maßgeblich nicht die Außenwirkung oder die tatsächliche Gestaltung, sondern die rechtlich gesicherte Position entscheidend ist: Wer keine gesellschaftsvertraglich verankerte Weisungsfreiheit und keine Sperrminorität besitzt, gilt grundsätzlich als abhängig beschäftigt – selbst bei hoher Eigenverantwortung und exklusiver Leitung.
Auch die Tatsache, dass Tätigkeiten auf Grundlage einer Vollmacht erfolgen und operativ unternehmerisch geprägt sind, führt nicht zur Selbstständigkeit, wenn kein unternehmerisches Risiko übernommen wird und die Leistungserbringung vollständig im Dienst der Gesellschaft steht.
Fazit
Wenn Sie als Unternehmen Gesellschafterinnen oder Gesellschafter in operativen Funktionen einsetzen – etwa für Geschäftsführung, Verwaltung oder Projektleitung –, sollten Sie die sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen genau prüfen. Dieses Urteil zeigt eindrücklich: Auch Gesellschafter können sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein, wenn ihnen keine gesellschaftsrechtlich abgesicherte Einflussmöglichkeit zusteht und sie kein unternehmerisches Risiko tragen.
Wichtig ist: Es kommt nicht darauf an, wie eigenverantwortlich oder qualifiziert jemand arbeitet, sondern darauf, wie das Beschäftigungsverhältnis rechtlich ausgestaltet ist. Wer ohne vertraglich verankerte Mitbestimmungsrechte agiert, regelmäßig tätig ist und auf Stundenbasis vergütet wird, wird oft als abhängig beschäftigt eingestuft – selbst wenn die Tätigkeit über eine umfassende Vollmacht erfolgt und die betroffene Person faktisch die Gesellschaft führt.
Gerade bei familiengeführten Gesellschaften oder vermögensverwaltenden KGs entsteht schnell ein rechtliches Risiko, das oft unterschätzt wird – mit teils erheblichen finanziellen Folgen (Nachzahlungen, Säumniszuschläge, Zinsen). Eine rechtzeitige juristische Einschätzung kann Sie hier wirksam absichern.

Sollten Sie Fragen zu diesem oder anderen rechtlichen Themen haben, zögern Sie nicht Kontakt aufzunehmen. Herr Rechtsanwalt Prochaska berät Sie bei allen Fragen des Wirtschaftsrechts. Als Fachanwalt liegt sein Schwerpunkt insbesondere auf dem Gebiet des Handels- und Gesellschaftsrechts. Er steht Ihnen bei Fragen der Unternehmensgründung, der Unternehmensumwandlung, des Unternehmenskaufs oder der Unternehmensnachfolgeebenso mit Rat und Tat zur Seite wie bei der Ausgestaltung von Gesellschafts- und Geschäftsführerverträgen oder auch bei Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern. Ebenso berät Sie Herr Prochaska bei Fragen des Einsatzes von Selbständigen. Er unterstützt Sie hier sowohl in strafrechtlichen, sozialversicherungsrechtlichen als auch in steuerrechtlichen Verfahren. Sie erreichen ihn per E-Mail (prochaska@protag-law.com) und telefonisch unter 06221 338 63 – 0. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf.