Entgeltschätzung für Zeitarbeiter aufgrund Equal Pay, LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 11.03.2020– L 9 KR 19/17
Sachverhalt: Ist eine Schätzung der Entgeltansprüche von Zeitarbeitern aufgrund Equal Pay immer zulässig?

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Beitragsnachforderung seitens der Deutschen Rentenversicherung infolge einer Betriebsprüfung für die Jahre 2007 bis 2009. Streitig ist die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen auf die Differenz zwischen den Leiharbeitern tatsächlich gezahlten und ihnen rechtlich zustehenden Arbeitsentgelten (Equal Pay).
Der Kläger war als Einzelkaufmann Inhaber der Firma „B-P“, die im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig war und über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügte. Mit seinen Leiharbeitnehmern schloss der Kläger Arbeitsverträge, die wegen der Höhe des Arbeitsentgelts auf die Entgelttarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) verwiesen. Damit stand den Leiharbeitern ein Anspruch auf Equal Pay zu.
Equal Pay aufgrund der Nichtigkeit der Tarifverträge und Nachforderung von Sozialabgaben
Die CGZP wurde jedoch vom Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10) für nicht tariffähig erklärt, damit sind mit ihr abgeschlossene Tarifverträge nichtig. In Folge dessen stellte sich bundesweit die Frage der Nachzahlung von Arbeitsentgelten nach § 10 Abs. 4 AÜG (Anspruch auf „Equal Pay“) sowie der Nacherhebung von Sozialabgaben.

Daraufhin führte die Deutsche Rentenversicherung, die Beklagte, beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. Im Laufe der Betriebsprüfung machte der Kläger vollständige Angaben zu den Namen der bei ihm in den Jahren 2007 bis 2009 beschäftigten Leiharbeiter, zu den jeweiligen Tätigkeitszeiträumen, zu den jeweiligen Entleihern, zu den gezahlten Entgelten und zum Inhalt der mit den Entleihern geschlossenen Verträge. Schließlich erhob die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Beitragsnachforderung in Höhe von 45.791,18 Euro. Wobei die Höhe der Entgeltansprüche aus Equal Pay durch die Beklagte nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV geschätzt wurde.
Dagegen wendete sich der Kläger an das Sozialgericht Berlin. Das Sozialgericht Berlin gab der Klage statt und hob den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung auf. Laut dem Sozialgericht sei die Beklagte nicht befugt gewesen, den Entgeltanspruch der namentlich bekannten Leiharbeiter des Klägers und die darauf beruhende Beitragshöhe zu schätzen.
Dagegen legte die Beklagte die Berufung ein. Als Begründung führte die Beklagte aus, Sie sei zur Schätzung befugt gewesen, denn die Höhe der beitragspflichtigen Entgelte habe angesichts von 1.143 Beschäftigungsverhältnissen nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand ermittelt werden können.
Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg: Die Equal Pay-Schätzung der Deutschen Rentenversicherung war nicht zulässig

Das LSG kam zu dem folgenden Ergebnis. Grundsätzlich war die Beklagte berechtigt, die vom Kläger seinen Leiharbeitern während der jeweiligen Überlassung an einen Entleihbetrieb geschuldeten Entgelte zu schätzen. Der Kläger konnte bei der Betriebsprüfung keine Unterlagen über die konkreten Vergütungsansprüche (§ 10 Abs. 4 AÜG), also zum Equal Pay vorlegen. Eine Schätzung des Entgelts einzelner Leiharbeiter ist zwar zulässig, wenn infolge der Verletzung von Aufzeichnungspflichten zwar eine personenbezogene Zuordnung möglich ist, nicht aber die genaue Bestimmung der Entgelthöhe. Hierbei ist eine Schätzung von Entgelten jedoch nicht in jedem Fall unzureichender Arbeitgeberaufzeichnungen „automatisch“ zulässig. Eine Befugnis zur Schätzung von Entgelten besteht nur dann, wenn die Beitragshöhe aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Aufzeichnungen des Arbeitgebers nicht konkret festgestellt werden kann. Hierbei muss die Feststellung der Beitragshöhe nicht objektiv unmöglich sein; ausdrücklich lässt § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV eine Entgeltschätzung vielmehr bereits für den Fall zu, dass der prüfende Träger Arbeitsentgelte „nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand“ ermitteln kann. Dies war im vorliegenden Streit nicht der Fall.
Das LSG stellte fest, dass allein der Umstand, dass bei einem Arbeitgeber Entgelte einer großen Anzahl von Leiharbeitern zu ermitteln sind, jedoch noch keinen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand begründet. Die Beklagte hätte im Wege der Amtsermittlung an diejenigen Entleiher herantreten müssen, auf die der weit überwiegende Teil der 1.143 Beschäftigungsverhältnisse entfiel.
Schließlich stützte sich das LSG auf das Urteil des Bundessozialgerichts (B 12 R 4/17 R). Danach hat die Deutsche Rentenversicherung bei ausreichenden Informationen zu Leiharbeitern, Zeiträumen und Entleihern primär bei den Entleihern Auskünfte zum Equal Pay einzuholen. Erst dann darf zum Mittel der Schätzung gegriffen werden. Daher war ihre Schätzung im vorliegenden Fall unzulässig.
Fazit: Auch im Equal Pay-Bereich dürfen Sozialabgaben nicht einfach nur geschätzt werden
Das Urteil des LSG zur Schätzung von Sozialabgaben bei Equal Pay-Verstößen legt den Finger genau in die Wunde. Dabei verteilt das LSG die Pflichten von Arbeitgebern und Sozialversicherung gleichmäßig. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich verpflichtet, den Equal Pay-Anspruch korrekt zu berechnen. Verstößt er hiergegen, besteht für die Sozialversicherung die Möglichkeit der Schätzung, wenn ihr die anderweitige Ermittlung nicht zumutbar ist. Der Arbeitgeber ist daher in solchen Fällen aufgefordert, der Sozialversicherung ausreichend verlässliches Material an die Hand zu geben. Kommt er dem nach, scheidet eine Schätzung aus. Bei Betriebsprüfungen sollte also bereits in einem frühen Stadium mitgewirkt werden.

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