Betreiber einer Autowaschstraße – Selbstständig oder abhängig beschäftigt? BAG Urteil 9 AZR 205/23

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied in seinem Urteil, dass zwischen dem Betreiber einer Autowaschstraße und der betreibenden Gesellschaft kein Arbeitsverhältnis im Sinne von § 611a BGB besteht. Der Fall wirft grundlegende Fragen zur Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung auf, insbesondere im Kontext sogenannter Partnerverträge. Die Entscheidung betont die Bedeutung einer umfassenden Gesamtbetrachtung der tatsächlichen Umstände und stärkt die Rechtssicherheit bei der Vertragsgestaltung mit selbstständig tätigen Partnern.

Sachverhalt

Ist ein Betreiber einer Waschstraße selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt?

Der Kläger betrieb seit Juli 2009 auf Grundlage eines sogenannten „Partnervertrags“ eine Autowaschstraße im Namen und auf Rechnung der Beklagten. Laut Vertrag handelte es sich um eine selbstständige Tätigkeit. Der Kläger war berechtigt, Arbeitszeit und Tätigkeitsabläufe eigenständig zu gestalten und eigenes Personal einzusetzen. Gleichzeitig enthielt der Vertrag standardisierte Vorgaben, etwa zur Preisgestaltung, zur Sauberkeit des Geländes, zur Dokumentation und zu Betriebszeiten. Der Kläger war der Auffassung, dass er tatsächlich in einer arbeitnehmertypischen Abhängigkeit tätig gewesen sei, und klagte auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses sowie auf Zahlung rückständigen Arbeitsentgelts.

Entscheidung des Gerichts

Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass die rechtliche Einordnung eines Vertragsverhältnisses nach § 611a Abs. 1 BGB nicht allein von der vertraglichen Bezeichnung abhängt. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung der tatsächlichen Umstände entscheidend, bei der insbesondere geprüft wird, ob eine persönliche Abhängigkeit im Sinne einer weisungsgebundenen und fremdbestimmten Tätigkeit vorliegt.

Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers versus Freiheit des Selbstständigen

Das Gesetz bestimmt die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers, indem es ihm die Freiheit des Selbstständigen gegenüberstellt. Nach § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB ist weisungsgebunden, wer seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit nicht selbst bestimmen kann. Dieses Merkmal steht in direktem Zusammenhang mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 611a Abs. 1 Satz 2 BGB), das Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit umfassen kann. Wo solche Bedingungen nicht durch Vertrag oder kollektive Normen geregelt sind, darf der Arbeitgeber diese einseitig nach billigem Ermessen näher ausgestalten (§ 106 GewO).

Das Gericht grenzt das arbeitsrechtliche Weisungsrecht deutlich vom Weisungsrecht in sonstigen zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen ab. Während Letzteres – etwa bei Werk- oder freien Dienstverträgen – regelmäßig auf das zu erreichende Ergebnis gerichtet ist, ist das Weisungsrecht im Arbeitsverhältnis personenbezogen und auf die Art und Weise der Durchführung der Tätigkeit bezogen. Wird die Tätigkeit durch den Auftraggeber vollständig organisiert und erfolgt die Einbindung des Beschäftigten in eine arbeitsteilige Struktur in einer Weise, die eine eigenverantwortliche Organisation des Ergebnisses ausschließt, liegt ein Arbeitsverhältnis nahe. Ist der Dienstverpflichtete jedoch berechtigt, Dritte in die Leistungserbringung einzubinden, deutet dies stark auf Selbstständigkeit hin.

Abgestufte Prüfung des Arbeitsverhältnisses

Ergänzend stellte das BAG eine sogenannte abgestufte Prüfung klar, die sich aus § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB ergibt. Zunächst ist der Vertrag nach § 157 BGB auszulegen: Wenn die Parteien nach dem Vertrag ein Arbeitsverhältnis gewollt haben, ist der Arbeitnehmerstatus unmittelbar anzunehmen. Ergibt sich aus dem Vertrag hingegen, dass eine selbstständige Tätigkeit gewollt war, ist im nächsten Schritt die tatsächliche Durchführung zu prüfen. Stimmen Vertragsinhalt und Praxis überein, spricht dies für Selbstständigkeit. Weichen sie jedoch voneinander ab, ist allein die gelebte Vertragspraxis maßgeblich. Diese ist dann anhand der gesetzlichen Kriterien des § 611a Abs. 1 BGB zu würdigen.

Im konkreten Fall stellte das BAG fest, dass der Kläger die Waschstraße eigenverantwortlich betrieb, insbesondere durch den Einsatz eigener Mitarbeiter, die er selbst auswählte, anleitete und kontrollierte. Die Beklagte hatte keine operative Weisungsbefugnis, sondern gab lediglich organisatorische und qualitätssichernde Rahmenbedingungen vor. Die Gestaltung der Betriebszeiten erfolgte im gegenseitigen Einvernehmen. Die wirtschaftliche Verantwortung und das unternehmerische Risiko lagen beim Kläger.

Zwar enthielt der Vertrag auch Einschränkungen, wie die Festlegung von Preisen durch die Beklagte oder bestimmte betriebliche Vorgaben (z. B. Wartungs- und Dokumentationspflichten). Doch diese Maßnahmen dienten primär der Standardisierung des Geschäftsbetriebs unter einem einheitlichen Markennamen und führten nicht zur persönlichen Abhängigkeit des Klägers. Das Gericht stellte klar, dass selbst eine deutliche wirtschaftliche Abhängigkeit und vertraglich festgelegte Verhaltensvorgaben nicht automatisch zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses führen, solange die Tätigkeit in wesentlichen Punkten eigenverantwortlich ausgeführt wird.

Bedeutung des Urteils

Die Entscheidung hat erhebliche praktische Relevanz, insbesondere für Unternehmen, die mit selbstständigen Partnern im Rahmen von Franchise- oder Kooperationsmodellen arbeiten. Das BAG macht deutlich, dass nicht jede Form von Vorgabe oder wirtschaftlicher Bindung ein Arbeitsverhältnis begründet. Entscheidend ist, ob dem Vertragspartner substanzielle Gestaltungsfreiheit verbleibt. Die tatsächliche Vertragsdurchführung muss im Einklang mit der vereinbarten Selbstständigkeit stehen.

Unternehmen können sich auf die Linie des BAG stützen, dass standardisierte Vorgaben, die der Qualitätssicherung oder der Markenidentität dienen, nicht notwendigerweise zu einer arbeitnehmertypischen Weisungsgebundenheit führen. Voraussetzung ist jedoch, dass keine operative Kontrolle über die Durchführung der Tätigkeit erfolgt und dass dem Vertragspartner ein eigener organisatorischer Entscheidungsspielraum bleibt.

Schlussfolgerung

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts bestätigt die Maßstäbe der bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und Arbeitsverhältnis und wendet sie konsequent an. Es zeigt, dass die Annahme eines Arbeitsverhältnisses sorgfältiger Prüfung bedarf, insbesondere in Fällen wirtschaftlicher Ungleichgewichte oder standardisierter Kooperationsverträge. Für die Vertragsgestaltung bedeutet dies, dass nicht nur die Formulierungen im Vertrag, sondern vor allem die tatsächliche Praxis der Zusammenarbeit entscheidend sind. Unternehmen sollten daher sowohl auf eine klare vertragliche Abgrenzung als auch auf eine konsistente Umsetzung achten, um rechtliche Risiken zu vermeiden.

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