Arbeitsplatzbezogene Berücksichtigung von Zeitarbeitern für Schwellenwerte in der Unternehmensmitbestimmung, BGH Beschluss vom 25.06.2019 –II ZB 21/18

Sachverhalt: Wie sind Zeitarbeiter bei der Mitbestimmung in Unternehmen zu berücksichtigen?

Die Antragsgegnerin zu 2, eine GmbH, ist ein Logistikunternehmen, das an acht Standorten in Deutschland Logistikleistungen, hauptsächlich für die Kraftfahrzeugindustrie, erbringt. Sie beschäftigt zum überwiegenden Teil festangestellte Arbeitnehmer sowie daneben im Umfang von etwa einem Drittel der Belegschaft Zeitarbeiter. Die Antragsgegnerin zu 1, ebenfalls eine GmbH, ist selbst nicht operativ am Markt tätig und beschäftigt keine Arbeitnehmer. Sie hält 95% der Geschäftsanteile der Antragsgegnerin zu 2. Bei der Antragsgegnerin zu 2 wurden im fraglichen Zeitraum nie mehr als 1.878 Stammbeschäftigte und mehr als sechs Monate eingesetzte Zeitarbeiter beschäftigt. Insgesamt wurden jedoch über 2.000 Mitarbeiter und Zeitarbeiter dauerhaft beschäftigt, wenn man auch die Zeitarbeiter mitzählte, die weniger als sechs Monate im Einsatz waren.

Nach § 1 Abs. 1 i.V.m.  §§ 6, 7 MitbestG ist nur in Unternehmen, die in der Rechtsform einer GmbH betrieben werden und in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen, ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat zu bilden. Neben den festangestellten Arbeitnehmern sind bei der Ermittlung von Schwellenwerten nach § 14 Abs. 2 Satz 5 AÜG außerdem grundsätzlich Zeitarbeiter zu berücksichtigen. Allerdings sind Zeitarbeiter nach § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG bei der Ermittlung von Schwellenwerten nur mitzuzählen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt.

Der Antragsteller ist der Gesamtbetriebsrat der Antragsgegnerin zu 2 und vertrat die arbeitsplatzbezogene Ansicht. Der Gesamtbetriebsrat beantragte die Feststellung, dass bei beiden Antragsgegnerinnen ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu bilden sei.

Das Landgericht wies die Hauptanträge zurück. Auf die Beschwerde des Antragstellers stellte das Beschwerdegericht fest, dass aufgrund der Zeitarbeiter bei beiden Antragsgegnerinnen ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes zu bilden ist.

Dagegen wendeten sich die Antragsgegnerinnen mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie die Zurückweisung der Beschwerde begehrten.

Berücksichtigung der Zeitarbeiter bei der Mitbestimmung

Es stellte sich nun die juristisch spannende Frage, ob auf den Arbeitsplatz abzustellen ist, dann wären ständig über 2.000 Mitarbeiter beschäftigt. Oder ist auf die Zeitarbeiter als Personen abzustellen, dann wären nur 1.878 Mitarbeiter beschäftigt gewesen.

Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass diese Einsatzdauer nicht arbeitnehmer-, sondern arbeitsplatzbezogen zu bestimmen ist. Hiernach ist maßgeblich, ob das Unternehmen während eines Jahres über die Dauer von mehr als sechs Monaten Arbeitsplätze mit Zeitarbeitern besetzt. Dabei ist es irrelevant, ob es sich um den Einsatz bestimmter oder wechselnder Leiharbeitnehmer handelt und ob die Zeitarbeiter auf demselben oder auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Ist dies der Fall, sind die betreffenden Arbeitsplätze bei der Bestimmung des Schwellenwerts nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG mitzuzählen, wenn die Beschäftigung von Zeitarbeitern über die Dauer von sechs Monaten hinaus regelmäßig erfolgt.

Der Anwendungsschwellenwert des § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG bestimmt sich nach den „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmern des Unternehmens. Maßgeblich ist damit nicht das Beschäftigungsverhältnis des einzelnen Zeitarbeiters, sondern die abstrakte Zahl der regelmäßigen Belegschaftsstärke des Unternehmens über einen längeren Zeitraum hinweg.

Betrachtung von Zeitarbeitern als „in der Regel“ Beschäftigte in einem Unternehmen

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist für die Anzahl der „in der Regel“ in einem Unternehmen Beschäftigten die Beschäftigungslage wichtig. Ihre Feststellung erfordert sowohl eine rückblickende Betrachtung, für die ein Zeitraum zwischen sechs Monaten bis zwei Jahren als angemessen erachtet wird, als auch eine Prognose, bei der konkrete Veränderungsentscheidungen zu berücksichtigen sind. Werden Arbeitnehmer nicht ständig, sondern lediglich zeitweilig beschäftigt, kommt es für die Frage der regelmäßigen Beschäftigung darauf an, ob sie normalerweise während des größten Teils eines Jahres, d.h. länger als sechs Monate beschäftigt werden. Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch für Zeitarbeiter, wenn Zeitarbeit längerfristig als Instrument zur Deckung des Personalbedarfs im Betrieb genutzt wird.

Der BGH nimmt daher eine zweistufige Prüfung vor. Zuerst prüft er, ob Arbeitsplätze während eines Jahres über die Dauer von sechs Monaten hinaus mit Zeitarbeitern besetzt werden. Ist dies der Fall, muss die Beschäftigung über die Dauer von sechs Monaten hinaus regelmäßig erfolgen. Letzteres kann dann ausscheiden, wenn z.B. Umstrukturierungen erfolgen oder ein sonstiger zeitweiliger Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften besteht.

Ferner kam der BGH zu dem Ergebnis, dass die den Schwellenwert übersteigende Anzahl regelmäßig beschäftigter Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, § 14 Abs. 2 Satz 5 und 6 AÜG bei der Antragsgegnerin zu 2 nach § 5 Abs. 1 Satz 1 MitbestG in Verbindung mit § 18 Abs. 1 AktG zugleich als Arbeitnehmeranzahl der Antragsgegnerin zu 1 gilt. Aus diesem Grund ist auch bei der Antragsgegnerin zu 1 ein Aufsichtsrat zu bilden.

Fazit

Der BGH schafft Klarheit in Bezug auf die Mindesteinsatzdauer, die arbeitsplatzbezogen ist. Jetzt müssen große Unternehmen bei der Berücksichtigung der Zeitarbeiter bei der Ermittlung des Schwellenwerts noch genauer hinsehen. Nach dem BGH ist es irrelevant, ob die einzelnen Zeitarbeiter weniger als sechs Monate eingesetzt werden. Maßgebend ist die Frage, ob der Einsatz von Zeitarbeitern als solche über die Dauer von sechs Monaten hinausgeht.  Wenn die Arbeitsplätze auch mit wechselnden Zeitarbeitern länger als sechs Monaten besetzt sind, müssen diese Zeitarbeiter, die diese Arbeitsplätze in dieser Zeit besetzen, bei der Ermittlung des Schwellenwerts im Rahmen der Mitbestimmung berücksichtigt werden. Bei Fragen können Sie gerne Kontakt zu uns nehmen.