Alternative Beschäftigungsmöglichkeit für Stammpersonal beim dauerhaften Einsatz von Leiharbeitern, LAG Köln Urteil vom 02.09.2020 – 5 Sa 14/20

Sachverhalt: Kann ein Arbeitgeber seinem Stammarbeitnehmer kündigen, während er gleichzeitig Leiharbeiter beschäftigt?

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die Beklagte ist ein Automobilzulieferer. Der Kläger war bei ihr zunächst 1,5 Jahre befristet und ist seit September 2017 aufgrund eines unbefristeten Vertrages als Fertigungsmitarbeiter beschäftigt. Neben der Stammbelegschaft beschäftigt die Beklagte auch als dauerhafte Vertretung sechs Leiharbeiter. 

Immer wieder setzen Unternehmer Leiharbeiter auf Dauer ein.
Immer wieder setzen Unternehmer Leiharbeiter auf Dauer ein.

Zum 31. Juli 2019 kündigte die Beklagte aus betriebsbedingten Gründen das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Dagegen wendete sich der Kläger an das Arbeitsgericht. Er beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden ist. Zweitens beantragte der Kläger die Beklagte zu verurteilen, ihn über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Fertigungsmitarbeiter weiter zu beschäftigen.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, den Weiterbeschäftigungsantrag wies es aber ab. Dagegen legte die Beklagte Berufung ein, mit der sie eine vollständige Abweisung der Klage erreichen wollte.

Entscheidung des LAG: Unwirksame Kündigung des Klägers aufgrund der Beschäftigung von Leiharbeitern für einen Dauerbedarf

Das LAG kam zu dem Ergebnis, dass das Arbeitsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Kündigung der Beklagten sozial ungerechtfertigt ist.

Eine Kündigung ist nur dann im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG durch „dringende“ betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, dem bei Ausspruch der Kündigung absehbaren Wegfall des Beschäftigungsbedarfs durch andere Maßnahmen – sei es technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art – als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen. Aus dem Merkmal der „Dringlichkeit” der betrieblichen Erfordernisse ergibt sich, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine sowohl diesem als auch ihm selbst objektiv mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, ggf. zu geänderten Bedingungen, anbieten muss.

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass die Beklagte ihn auf einem freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigen könne, auf dem sie bisher Leiharbeiter einsetze. Hierzu führte das LAG aus, dass es von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ob die Beschäftigung von Leiharbeitern die Annahme rechtfertigt, im Betrieb oder Unternehmen des Arbeitgebers seien „freie“ Arbeitsplätze vorhanden.

Werden Leiharbeiter lediglich zur Abdeckung von „Auftragsspitzen“ eingesetzt, liegt keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit vor. Der Arbeitgeber kann dann typischerweise nicht davon ausgehen, dass er für die Auftragsabwicklung dauerhaft Personal benötigt.

LAG Köln: Beim dauerhaften Einsatz von Leiharbeitern ist eine Kündigung unwirksam

Beschäftigt der Arbeitgeber Leiharbeiter dagegen, um mit ihnen ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes (Sockel-)Arbeitsvolumen abzudecken, kann von einer alternativen Beschäftigungsmöglichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchGauszugehen sein, die vorrangig für sonst zur Kündigung anstehende Stammarbeitnehmer genutzt werden muss.

An einem „freien“ Arbeitsplatz soll es nach bisheriger Rechtsprechung des BAG „in der Regel“ außerdem fehlen, wenn der Arbeitgeber Leiharbeiter als „Personalreserve“ zur Abdeckung von Vertretungsbedarf beschäftigt. Wenn der Arbeitgeber jedoch mit dem Einsatz von Leiharbeitern einen dauerhaften Vertretungsbedarf abdecken will, liegt kein Fall der Vertretung vor. 

Schließlich stellte das LAG fest, dass in Krisenzeiten, in denen sich ein verringerter Arbeitskräftebedarf ergibt, der Arbeitgeber einen bestehend bleibenden Dauerbedarf nicht mit Leiharbeitern besetzen darf. 

Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Kündigung des Klägers als unwirksam, weil im Kündigungszeitpunkt eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestand. Die Beklagte hat im Kündigungszeitpunkt einen dauerhaft bestehenden Arbeitsbedarf gehabt, den sie dem Kläger hätte zuweisen können. Der Dauerbedarf ergibt sich aus der fortlaufenden Beschäftigung von jedenfalls sechs Leiharbeitern.

Fazit: Keine Kündigung von Stammpersonal beim dauerhaften Einsatz von Leiharbeitern

In seinem Urteil erklärte das LAG ausführlich, in welchen Fällen beim Einsatz von Leiharbeitern es für einen Arbeitgeber unmöglich ist, aus betriebsbedingten Gründen seinen Stammarbeitnehmer zu kündigen. Solange die Leiharbeiter für einen dauerhaft bestehenden Arbeitsbedarf eingesetzt werden, bedeutet es, dass im Betrieb „freie“ alternative Arbeitsplätze für Stammpersonal vorhanden sind. In diesem Fall kann ein Arbeitgeber seinen Stammarbeitnehmer nicht kündigen, sondern muss ihm beispielsweise die Tätigkeit anbieten, die von einem Leiharbeiter ausgeübt wird.

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